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Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Grenzgängerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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gemeint hatte, dass seine Mutter immer öfter in einer eigenen Welt war. So weit fort und unerreichbar.
    Müller saß noch eine Stunde neben seiner Mutter, aber sie nahm ihn nicht wahr. Ein wenig Speichel floss aus ihrem linken Mundwinkel. Müller tupfte ihn behutsam weg.
    Goldhändchen wollte einen perfekten Angriff führen, und dazu gehörte ein passendes Ambiente.
    Er hatte den kleinsten Konferenzraum für die nächsten sieben Tage belegt, er brauchte täglich viele Kannen Kaffee, dazu eine Menge belegte Schnittchen, etwas Kuchen, viele Kekse, auf jedem Platz eine kleine Vase mit einer purpurfarbenen Rose. Schon allein bei diesem Arrangement war vollkommen klar, dass die rumänischen Putzfrauen bereits nach einem Tag meckern würden. Reichlich Aschenbecher sollte es geben, obwohl kein Mensch ernsthaft glaubte, dass Goldhändchen rauchte, und die Hausverwaltung bereits mehrere Male streng darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Rauchen in den Konferenzräumen strikt verboten sei. Die Hausverwaltung hatte das schriftlich mitgeteilt und ihn gebeten, das Papier abzuzeichnen und zurückzuschicken. Er hatte einen Satz als Kommentar hinzugefügt und es zurückgeschickt: »Liebe Hausverwaltung, Sie haben nicht die geringste Vorstellung, welch perfekte Arbeitswelt die der Raucher gewesen ist.« Die Hausverwaltung hatte den Kommentar erbost an die Leitung des Dienstes geschickt, allerdings ohne viel Hoffnung, und tatsächlich war ein Machtwort ausgeblieben. Also bekam der Raum Aschenbecher. Goldhändchen hatte sechs Leute einbestellt, drei junge Frauen, drei junge Männer. Sie fühlten sich geehrt, noch ehe ein Wort zu ihrer Aufgabe gesagt worden war. Sie saßen da wie Erstklässler und starrten den Chef an, den sie entweder hassten oder aber glühend verehrten, was zuweilen durchaus zusammenfiel und sie heftig verwirrte.
    Allein die Frage nach Goldhändchens Sexualleben füllte Stunden heftigster Diskussionen. Was, zum Teufel, war dieser Mann eigentlich? Schwul, Transe, bisexuell? Und wie alt mochte der wohl sein? Die meisten schätzten ihn auf Mitte vierzig. Andere behaupteten, er sei mindestens fünfundsechzig und könne das nur stundenweise mit einem exzellenten Make-up verdecken. Deshalb liege sein Kommandopult auch ständig im Dämmerlicht.
    Wie ausgerechnet ein solcher Mann eine leitende Position in einem Geheimdienst ergattert hatte, war allen ein Rätsel, und natürlich vermutete man auch dahinter große Geheimnisse. Niemand wusste, wo er wohnte, und niemand hatte ihn je auf den Straßen Berlins gesehen. Dass er seinen Job der Tatsache verdankte, dass eines Tages selbst der BND den Anbruch des Computerzeitalters akzeptieren musste, war einfach zu nüchtern für die erhitzten Gemüter.
    Goldhändchen saß am Kopf des großen ovalen Tisches. Er trug weiße Hosen zu schwarzen Budapestern, ein weißes, elegant fallendes Seidenhemd, dazu ein locker gebundenes schwarzes Tuch.
    Er sagte: »Meine Lieben. Ich danke euch, dass ihr in dieser Sache mit mir zusammenarbeiten wollt. Ihr werdet ohne Rücksicht auf Arbeitszeiten in diesem Raum angekettet sein, ihr werdet das Beste geben müssen. Es ist die Aufgabe von Spionen, herauszufinden, was andere tun, planen und denken. Und zuweilen fällt das schwer, denn einige von euch finden es empörend, dass dieser Dienst bei der Unterstützung fremder und rigider Regierungen in anderen Kulturkreisen vollkommen blind und taub arbeiten muss, weil er dabei ständig zu übersehen hat, dass die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Warum? Weil die Regierung es so will und weil es letztlich immer nur um einige miese Millionen Barrel Erdöl pro Jahr geht. Und diesen Leuten schicken wir sogar noch Kriegsgerät. Das ist schwer zu verstehen, das ist zuweilen nur mit Demut zu ertragen, und selbst dann flippt der eine oder andere manchmal aus und besäuft sich in der nächsten Eckkneipe. So weit, so leider.«
    Er sah sie an. Er hatte eine Schachtel mit Mentholzigaretten vor sich liegen, öffnete die Schachtel und ließ sie weiterwandern.
    »Ich denke, wir rauchen mal eine, ehe wir uns unserem Auftrag zuwenden. Dieser Auftrag ist sehr speziell. Lydia, mein Schatz, würdest du bitte mal die Platten mit dem Essbaren kreisen lassen? Du, Sandor, könntest die Tassen füllen. Und du, Guido, kannst mal mit dem Feuerzeug herumgehen, damit wir die gute Luft verscheuchen und es nicht mehr so aufdringlich nach Klimaanlage riecht.«
    Jeder der Beteiligten hatte einen Laptop vor sich, der jetzt

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