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Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Die Grenzgängerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Grenzgängerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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ständig auf Vollgas. Und alles andere hat nach unserer Vorstellung eben auch nur bei Vollgas richtig zu funktionieren. Genau das müssen wir begreifen: Liebe funktioniert bei Vollgas nicht.«
    »Nein«, sagte Krause nach einer Weile. »Da haben Sie wohl recht. Was haben Sie denn auf die Frage geantwortet, warum Sie diese Reise gemacht haben?«
    »Ich habe gesagt, ich liebe diesen Mann, deswegen die Reise. War das falsch?«
    »Nein, goldrichtig. Wir wollen schließlich im wirklichen Leben bleiben.« Er schaute Svenja tief in die Augen. »Haben Sie Angst, den Dienst verlassen zu müssen? Haben Sie Angst, arbeitslos zu werden?«
    Sie lachte leise: »Sie sind rührend. Arbeitslos? Ich? Wie denn das? Die amerikanischen Brüder bieten uns Privatverträge mit einer Grundsumme von etwa siebenhundertfünfzigtausend US -Dollar pro Jahr. Da muss mir wirklich nicht bange sein. Das habe ich Ihnen zu verdanken. Ich kann Spione ausbilden, wer kann das schon?«
    »Nein, nein, das ist richtig. Die Frage war aber, ob Sie Angst davor haben, hier aufhören zu müssen.«
    »Habe ich. Der Gedanke ist – einfach scheiße. Er wirft das ganze Leben um. Und du hast kein Zuhause mehr.« Ihr kamen die Tränen, und sie wischte sie hastig weg. »Aber Sie sind stinksauer auf mich, nicht wahr?«, fragte sie.
    »Zugegeben, es hätte glatter funktionieren können. Ich hätte Sie zum Beispiel sofort hinter Müller herschicken können.«
    »Aber Sie werden doch sicher auch Schwierigkeiten bekommen, oder?«
    Er sah sie verblüfft an. »Wieso sollte ich?«
    »Ich denke, die werden doch versuchen, das Ding so zu drehen, als hätten Sie beide Augen zugedrückt.«
    »Nun ja, das kommt immer wieder mal vor, da bleibe ich ganz entspannt. Ich habe noch eine Bitte: Können Sie dem psychologischen Dienst meine Anweisung ausrichten, Sie unter allen Umständen wegen der Reise nach Tripolis zu behandeln? Da gab es ja einige Härten. Das hat nichts mit den Anweisungen der Rechtsabteilung zu tun, das geht die absolut nichts an. Jetzt muss ich Ihnen aber ein Foto zeigen, das uns anonym zugespielt wurde.« Krause griff nach einem einfachen grünen Aktenordner, schlug ihn auf und holte ein großes Schwarz-Weiß-Foto heraus. Er legte es vor sie hin.
    »Was sehen Sie da?«
    »Na ja, zwei Menschen, Frau und Mann, offensichtlich in engster Umarmung. Da ist ein Stück Vorhang, der verdeckt etwas.«
    »Das sind Sie und Müller beim Geschlechtsverkehr oder etwas Ähnlichem in Ihrer Wohnung, junge Frau«, sagte Krause.

ZWÖLFTES KAPITEL
    Das Haus war ganz still.
    Karl Müller saß auf einem harten, unbequemen Stuhl, und er hatte Angst vor dem Augenblick, in dem seine Mutter aufwachte und nichts und niemanden erkennen, einfach nicht mehr von dieser Welt sein würde. Er erinnerte sich an Tonis Satz: »Deine Mutter verlässt uns, sie ist immer öfter in ihrer eigenen Welt.«
    Da lag sie, so klein und schmal, verlor sich in diesem Riesenbett, in diesen Riesenkissen, und eine lange Strähne ihres feinen weißen Haares hob und senkte sich mit jedem ihrer Atemzüge. Für Sekunden überraschte ihn die Vorstellung, dass dieser alte, winzige, ausgemergelte Körper ihn geboren hatte.
    Er erinnerte sich an seinen toten Vater. An die Minuten, in denen er vor dem Schreibtisch gesessen und in der Hinterlassenschaft dieses Vaters gekramt hatte. An die Sekunde, in der er die billigen Magazine fand, in denen Frauen ihre Scham zeigten, öde und trostlos.
    So viel unbekanntes Leben.
    Toni hatte ihm versichert: »Sie schläft nie lange, sie wacht nach ein paar Minuten auf. Und wenn sie dich sieht, freut sie sich.« Dann setzte er hinzu: »Wenn sie dich erkennt.«
    Plötzlich sagte sie: »Ach, Junge!«
    »Mama!«, sagte Müller mit trockenem Mund. Er rückte den Stuhl näher an ihr Bett.
    »Das ist aber schön«, sagte sie ein wenig nuschelnd. »Wo warst du denn?« Ihre Augen waren wässrig trübe.
    »Ich war verreist, Mama. Wie geht es dir denn?« Er fasste nach ihrer schmalen linken Hand und hielt sie fest.
    »Ich habe es gut hier«, flüsterte sie. »Toni ist immer da. Warst du an Vaters Grab?« Sie entzog ihm ihre Hand.
    »Nein, noch nicht. Ich bin eben erst angekommen.«
    »Ich sorge immer dafür, dass er ein paar Blumen kriegt. Deshalb.« Ihre Stimme wurde flach, verschwamm, sie schloss die Augen wieder, drehte den Kopf ein wenig zur Seite, und die Haarsträhne über ihrem Mund bewegte sich wieder mit ihrem Atem.
    »Mama?«
    Dann saß er da und begriff quälend langsam, was Toni damit

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