Die große Verschwendung
konnte, ging zu seinem Schreibtisch, tippte »Erlebnisqualität« in die Google -Maschine.
»Vierundzwanzigtausend Treffer für ›Erlebnisqualität‹!«, rief er, »das Wort existiert! Und wie!«
Ö, R und B1 lachten leise vor sich hin. B1 war ein in die Jahre gekommener Verwaltungsangestellter, dem man, vor Glabrechts Zeit, den Sprung auf die B-Stelle verweigert hatte. Stattdessen war ihm ein junger Jurist, der jetzige B, vor die Nase gesetzt worden. Vermutlich freute er sich über dessen Lungenentzündung, die ihm, B1, zwei, drei Wochen lang die Köstlichkeit gesteigerter Macht einbrachte.
»Jetzt gebe ich ›Kultureller Erlebnisraum‹ ein«, rief Senator Glabrecht.
»Über dreißigtausend Treffer! Vor einem Monat waren es halb so viele!«
Noch einmal lachten Ö, R und B1. Sie waren gehorsamer als jeder Hund. Aber konnte man »gehorsam« überhaupt steigern? Glabrecht würde das später im Internet überprüfen.
Ein schlimmer Vernichtungsdrang stieg in ihm auf. Was konnte man noch alles tun mit diesen Kreaturen? Was würden sie mit sich machen lassen? Wie weit würde er gehen mit ihnen, in anderen Lebensumständen? In gesetzlosen, diktatorischen, kriegerischen Zeiten, zum Beispiel? – Äußerst weit, vermutlich.
Man sprach dann noch über die anstehenden Termine. Mehrere Referenten würden damit beauftragt werden, möglicherweise zur Sprache kommende Themenkomplexe aufzuarbeiten und sogenannte »Redesplitter« für den Senator zu verfassen. Allerdings brauchte der eigentlich nur rhetorische Übergänge. Am Ende würde er sowieso jeweils über die Maritime Oper reden, die wie ein kultureller Leuchtturm in die Welt hinausstrahlen würde. Und so weiter.
5.
Die Senatssitzung im Senatssaal des Neuen Rathauses, die, wie jeden Dienstag, um elf Uhr begonnen hatte, war regelrecht euphorisch verlaufen. Glabrecht hatte ausführlich von den Verhandlungen in Oslo berichtet, unter reichlicher Verwendung von erlesenen Bullshit-Ausdrücken aus dem Marketing. Der Bürgermeister dankte ihm vor versammelter Mannschaft, und die Ideenblüten der Kollegen ließen nichts zu wünschen übrig. Die Kultur-Fröhlich meinte, man müsse dringend Künstlerateliers und Räume für Kreative in das Projekt mit einbauen, einen Platz für Kulturevents und ein richtungweisendes Projekt von »Kunst im öffentlichen Raum«, irgendwas Maritimes, vielleicht an einen Leuchtturm Erinnerndes oder dergleichen.
»Ein Leuchtturm!«, rief Glabrecht, klopfte als Ausdruck seiner Begeisterung mit den Knöcheln auf den Tisch.
Der Senat beschloss, dass die Kulturbehörde einen Wettbewerb ausschreiben würde. Der Bürgermeister selbst wollte einen Sponsor für dieses Projekt suchen – vielleicht Beck’s Bier ? Aber die belgischen Besitzer von Beck’s wollten ja nicht einmal das Weser-Stadion kaufen, obwohl ihnen dessen Umbenennung in » Beck’s Arena « angeboten worden war. Schmidt, der Bausenator, machte den dünnen Witz, der Leuchtturm könne ja wie ein Beck’s-Bier -Flasche aussehen. Dann sprachen alle begeistert durcheinander, als hätten sie tatsächlich ein paar Bier getrunken.
Den Nachmittag über verfasste Glabrecht in der Hitze seines Büros das fällige Schreiben an John Crawfield, »Chairman of the Board« der Nordic Urban Development . Der Bürgermeister würde es unterzeichnen.
Glabrecht hatte John Crawfield in Oslo als einen jovialen Mann kennen gelernt: bärig, beleibt, rote Nase, Glatze, weißer Hemingway-Bart. Einer dieser Männer, die eine Aura aus Ruhe und Selbstgewissheit um sich haben und ihre Macht nicht erst demonstrieren müssen. Sie war schlichtweg vorhanden, sie stand im Raum. Die bremische Maritime Erlebniswelt war gewiss eines seiner Lieblingsprojekte.
»Wir beabsichtigen, das Projekt Maritime Oper / Sea-World gemeinsam mit Ihnen zu bauen und zusammen zu betreiben. Sie haben uns dargelegt, dass Sie als erfahrener internationaler Investor eine gute Chance sehen, dieses schwierige Projekt, zusammen mit den von Ihnen geplanten und mit uns abgesprochenen Investitionen für eine Maritime Erlebniswelt mit nationaler und internationaler Ausstrahlung zu entwickeln, die Touristen aus nah und fern nach Bremen ziehen wird.«
Die »Meilensteine der Übereinkunft« waren aufgelistet. Über diese »Milestones« hatte man auch in Oslo gesprochen: Gelände, bauliche und Verkehrserschließung sowie übrige Bremer Leistungen für die Maritime Erlebniswelt , Einzelhandelsnutzung, Wohnen, Liegeplatz für Kreuzfahrtschiffe, Marina,
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