Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
Vom Netzwerk:
Hotel, uneingeschränkte exklusive Casinolizenz für einhundert Jahre mit reduzierter Spielbankabgabe. Glabrecht beendete das mehrseitige Schreiben mit dem Satz: »Neben den oben genannten Meilensteinen können wir uns weitere Unterstützungsaktivitäten vorstellen.«
    Anschließend rief er seinen Schwiegervater Klaus an. Seit dessen Schlaganfall lallte der leicht, so, als sei er angetrunken. Glabrecht gefiel diese Sprechweise besser als die gesunde. Früher war die Stimme etwas zu hell gewesen, eine leicht krähende Lehrerstimme, was in unangenehmer Weise mit dem sonstigen Habitus von Klaus korrespondierte und ihn verstärkte. Schon vor zehn Jahren, er war gerade mal Mitte sechzig gewesen und bereits sieben, acht Jahre pensioniert, hatte er dem Typus »schneller Greis« entsprochen. Ziemlich klein und dürr, wie er war, bewegte er sich ruckhaft, in den Einzelbestandteilen der Bewegung auffällig beschleunigt, wie in Vorbereitung einer körperlichen Attacke, und irgendwie vermutete Glabrecht geheime, vielleicht sogar sexualpathologische Zwangshandlungen bei ihm. Aber die beiden hatten sich dennoch immer gut verstanden. Glabrecht mochte Klaus, so, wie er häufig skurrile Menschen mochte, auch wenn sie allerlei Widerwärtigkeiten aufwiesen, Grobheiten und sogar Hinterlist. Er musste lediglich ab und zu einen Zug von Weichheit bei ihnen entdecken. Zur Not war er sogar mit Sentimentalität zufrieden oder mit einer kleinen körperlichen Behinderung.
    Nie hätte Glabrecht gedacht, dass ein magerer Hektiker wie Klaus einen Schlaganfall haben könnte. Ob er sich mit Marianne vertragen habe, fragte er. Beide lachten ein wenig. Es gab da ein kleines, unausgesprochenes männliches Einverständnis – über die Frauen insgesamt, natürlich auch über Marianne und deren Mutter Gerda –, dass diese Geschöpfe unter keinen Umständen ernst genommen werden durften, dass man aber ihnen gegenüber sehr wohl so tun musste, als sei das ganz anders, da man ansonsten nicht bekäme, was man von ihnen wollte.
    An diesem Tag lieferte Herr Berlepsch, der wieder reichlich Überstunden abgesessen hatte, seinen Chef bereits um halb zehn zu Hause ab. Glabrecht wartete, bis er weggefahren war, und blieb danach noch eine Weile im Vorgarten stehen. Es war Stille in der Straße, sah man von einem sich unterhaltenden Paar ab, das zwei, drei Häuser weiter offenbar ebenfalls gerade nach Hause kam. Zwei Autotüren schlugen, und kurz darauf war man wohl ins Haus getreten. Das ferne Gespräch, das Zuschlagen der Autotüren, danach das Leiser-Werden der Stimmen und ihr Verstummen, alles unter den dämpfenden Blätterdächern: Diese Abfolge war Glabrecht aus seinem tatsächlichen Leben nicht übermäßig vertraut, eher aus Spielfilmen mit vereinsamten trunksüchtigen Detektiven, die in kalifornischen Nächten wohlhabende Paare beobachteten. Aber das alles hinterließ dennoch ein starkes Gefühl, so, als wäre Glabrecht in seinem Ausgeschlossensein fest zementiert, als müsste er für immer hier stehen bleiben, den Aktenkoffer in der Hand, und dem Stück Leben hinterher lauschen, das gerade zu hören gewesen war. Er versuchte, sich an jene Wahrnehmungen der vorigen Nacht zu erinnern, als er sich seinem Haus genähert hatte. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr sie von Adrianas Abdruck in seinem Gemüt bestimmt gewesen waren. Das Wetter und die Luft waren gleich geblieben. Aber diesen Hauch, der aus irgendwelchen inneren Dingen und aus der Natur entstiegen war und der ihn auf eine schmerzhafte und betörende Art mit allem verbunden hatte – er konnte ihn nicht mehr spüren. Dass er ihn vermisste, das war alles, mehr gab es nicht, und es war nichts wert.
    Endlich tat er zwei, drei Schritte in Richtung Haustür, und die Marschbefehle, denen er nach mehreren Befehlsverweigerungen schließlich gehorchte, schienen nicht von ihm selbst zu kommen. Dann, und jetzt bereits aufgrund eines überraschend wirksamen Entschlusses, ließ er den freien Arm kreisen, um den Bewegungsmelder zu aktivieren, der die Außenbeleuchtung anschaltete. Marianne war noch nicht aus Hamburg zurück – oder wo immer sie sonst war, nur die beiden kleinen Katzen empfingen ihn maunzend, mit steil in die Höhe gestellten Schwänzen.
    Der Schreibtisch mit dem PC stand vor dem geöffneten Fenster seines kleinen Büros, das zum Garten hin lag. Massive Stille drückte herein, dann meldete sich aus einiger Entfernung ein verspätet aktiver Frosch – was Glabrecht eine gewisse Gemütserhellung

Weitere Kostenlose Bücher