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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Spendenzusage der Vollmers kurz abgekühlt, war während der Woche wieder heftig aufgekocht in den Medien.
    Ihm war eigentlich völlig egal, wer da kam an diesem Abend, das war alles eins, es waren immer diese mit dem Ehepaar Glabrecht befreundeten Paare. Aber worin bestand eigentlich das Befreundet-Sein? Davon hatte er wirklich keine Ahnung. Würde sich wenigstens das augenblicklich gute Wetter halten, dann könnte er sich im Garten etwas bewegen, umherschlendern, von einem Grüppchen weg zum anderen, und auf dem Weg hätte er jedes Mal ein paar Sekunden lang die Gelegenheit, die Gedanken zu denken, die ihn bedrängten. Aber mit gutem Wetter war diesen Abend nicht zu rechnen.
    Das Schlimmste war, wenn sie alle um den großen, von seiner Frau hergerichteten Tisch saßen, drinnen im Wohnzimmer, mitten auf dem Teppich, über den er Marianne vor ein paar Tagen hin- und hergefickt hatte. Wie ihn das verstimmte, schon im Vorfeld, wenn sie die Deckchen auflegte, die Väschen, Kännchen und die anderen uteralen Weibergefäße verteilte, die Bestecke ordnete, wenn sie laut überlegte, wer neben wem zum Sitzen kommen würde. Sie war über die Tischplatte gebeugt, sie bereitete »eine schöne Tafel vor«, wie sie tatsächlich sagte.
    Hätte sie so etwas schon damals von sich gegeben, als Glabrecht sie kennen lernte – er hätte die Flucht ergriffen. Aber solche Sätze, Handlungen und Gegenstände waren wohl Teil des Domestizierungs- und Verkitschungsprogramms, das ihm Stück für Stück übergestülpt worden war, nachdem er sich in die Ehe begeben hatte.
    Glabrecht, auf einem Stuhl im Garten sitzend, war stark verärgert von diesem Gedanken und über sein Leben empört. Marianne, immer noch über den Tisch gebeugt, sprach jetzt halblaut zu ihm, so, als befände er sich nicht mindestens sieben, acht Meter von ihr entfernt und damit außer Hörweite. Ihre Gesichtszüge hingen dabei nach unten. Glabrecht beobachtete dieses Missgeschick von weitem, und er dachte dabei schon wieder an den kürzlich vorgekommenen Geschlechtsverkehr und daran, wie er es vermieden hatte, dass die beiden Gesichter, ihres und seines, erhitzt und in horizontaler Lage einander nahe kamen. Gelegentlich testete er vor dem Spiegel verschiedene Schädelhaltungen und Mienenspiele, und sein Rasierblick entdeckte dabei die grässlichsten Verfallserscheinungen unter seinen Augen, unter dem Kinn. Das alles war entsetzlich, überaus hassens- und vernichtenswert. So etwas würde er doch Adriana in Wahrheit nicht präsentieren und zumuten können, wenn man sich denn irgendwann sehen würde – worauf ja alles hinauslief.
    Im Internet hatte er vorhin das Wetterradar für Norddeutschland aufgerufen. Von Westen ruckelten kleine Schauer- und Gewitterzellen heran. Glabrecht hatte an gewisse Science-Fiction-Spielfilme gedacht – wenn auf den Radarschirmen zu sehen war, dass eine Flotte von Raumschiffen endlich den Untergangswunsch der Spätmenschheit erfüllte und in radikaler Tötungsmission die Erde überfiel. Den Schauerzellen würde ein zusammenhängendes Regengebiet folgen, Saharaluft heranführend, die sich über dem Meer mit Feuchtigkeit aufgeladen hatte.
    Um sechzehn Uhr war Frau Brinkmann eingetroffen, eine Köchin, »verrentet«, wie sie stets betonte, die mit seiner Frau zusammen die Angelegenheiten in der Küche betrieb. Es würde Kaninchen in Rotwein geben, ein Rezept, das man, wie Marianne während ihrer Einladungstelefonate erklärt hatte, »aus Portugal mitgebracht« hatte. In Wahrheit hatten sie beide das Gericht nur ein einziges Mal dort gegessen. Es hatte vermutlich so ähnlich geschmeckt wie Kaninchen in Rotwein in Italien oder Kaninchen in Rotwein in Frankreich, Kaninchen in Rotwein in Griechenland, und so weiter. Es klang gut, wenn man Rezepte aus romanischen Ländern nachkochte. Glabrecht würde die Show komplettieren: »Immer den Wein aus dem Land, aus dem das Rezept stammt!«, würde er sagen.
    Also erhob er sich jetzt mit einem jugendlichen Schwung, von dem er selbst überrascht war, holte einige Flaschen portugiesischen Rotweins aus seinem überfüllten Weinkeller und entkorkte sie auf der Küchenanrichte, damit sie, wie er zu Marianne sagte, »ein wenig Sauerstoff« kriegten und, wie er zu sich selbst sagte, er endlich anfangen konnte zu saufen. Die ältesten Flaschen in seinem Keller waren über fünfundzwanzig Jahre alt, von Frankfurt nach Bremen umgezogen, um dort auf die spektakulären Lebensmomente zu warten, die nach den ebenso großen

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