Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
Vom Netzwerk:
hatte er sich eingebildet? Diese Frau hatte lediglich einen Kontakt pflegen wollen, mehr nicht – und dann seine viel zu rasche und peinlich vertrauliche Antwort! Wie hatte er sich derart entblößen können? Am folgenden Dienstag rief er Madlé in dessen Büro an, erzählte ihm von der Begegnung in Oslo und den Mails.
    »Und«, sagte Madlé, dessen Laune ebenfalls nicht sehr gut zu sein schien, »wieso hast du dich in sie verliebt?«
    »Wieso verliebt?«, sagte Glabrecht mit zögerlicher Stimme.
    »Nun gut. – Was schreibt sie denn?«
    Glabrecht las ihm die Mail von Adriana vor, danach seine Antwort.
    »Sie wird sich melden, bleib ganz ruhig«, sagte Madlé, »aber ich weiß nicht, ob ich dir das alles wünschen soll. Und außerdem: Was wünschst du dir? Liebe? Verliebt-Sein? Die Liebe hat noch nie einen unglücklichen Charakter geheilt. Das darfst du dir von dieser Angelegenheit wirklich nicht versprechen, auch nicht von all den Wörtern, die du dazu bildest und erfindest. Vielleicht den jungen schönen Körper dieser Frau? Das allerdings wäre ein guter Wunsch! Ich werde dich dann bei Gelegenheit fragen, was sie denn von dir will.«
    Am nächsten Morgen erschien tatsächlich erneut die magische Adresse im Posteingang. Glabrechts rechte Hand zitterte, als er die Maus bediente: Sie müsse häufig an ihn denken, schrieb sie, sie wisse nicht, was sie davon halten solle, aber sie wolle ihm das sagen. Schon seit ihrem Treffen in Oslo sei das so.
    Bei Glabrecht brachen alle Schutzdämme. Stundenlang war es an diesem Vormittag, als hätte jemand eine Glocke in ihm angeschlagen, deren auf- und abschwellendes Wabern fast alle anderen Gedanken und Informationen übertönte. Man hätte durchaus auch Vergleiche mit den Auswirkungen eines Nuklearen Elektromagnetischen Pulses ziehen können.
    Während der Sitzung der Olympia-GmbH war er eingehüllt in eine Glücksahnung, die er, als er sie identifizieren und besichtigen wollte, tatsächlich »süß« nannte, schließlich, mit gesenktem Kopf vor sich hingrinsend, sogar »lieblich«, denn in diesem Wort kam ja das andere Wort vor, um das allein es am Ende ging, auch wenn Freund Madlé so tat, als sei er da ganz anderer Meinung. Im weiteren Verlauf der Sitzung gab er sich außerdem zu Protokoll, mit dem nicht in der Gefühlsresonanz schwingenden kleinen Rest seines operativen Gemütsraumes übermäßig alert und einsatzfähig zu sein. Er fühlte sich mit diesem Rest wesentlich vernünftiger und zentrierter als sonst, es traten keine Befehlsverweigerungen seines Körpers und seiner Gedankengänge auf. Die Planungen für die Olympiabewerbung waren auf unterhaltsame Weise irrsinnig. Glabrecht formulierte unnötige, launige Sätze, sprachliche Girlanden, lachte. Die Teilnehmer der Sitzung erlebten einen Wirtschaftssenator in Hochform. Teile von ihm hielten sich in Oslo auf, waren bei Adriana oder trugen sogar ihren Namen. Das, was übrig blieb, war mehr als ausreichend für alles andere.
    Abends schrieb er zurück, auch er sei verwirrt, seit Oslo sei er das, und dächte häufig an sie. Inzwischen, im Lauf des Nachmittags, hatte sich die Glücksahnung allerdings in eine Leidensahnung verwandelt, die ebenfalls den größten Teil des Gemütsraumes diktatorisch in einem einzigen Ton schwingen ließ. Derart rasch war der Wandel geschehen, fast von einer Sekunde auf die andere, als seien die beiden aus einem ganz ähnlichen Stoff hergestellt, Glück und Leid, das eine mit einer kurzen, das andere mit einer langen Halbwertszeit.
    Glabrechts Mund war trocken, sein Herz schlug schlecht. Minutenlang saß er reglos vor der Vorsehung , ehe er den Antworttext verfassen konnte. Bald danach war er wieder im Glück, denn es traf erneut eine Nachricht von Adriana ein, die den gleichen Ton hatte wie die morgendliche.
    9.
    Auch über seine Ehe dachte er in diesen Tagen wieder häufiger nach. Dass er Marianne »neulich vor achtzehn Jahren« kennen gelernt hatte – diese Formulierung hatte sich tatsächlich in seinem Kopf gebildet, und zwar vollkommen unvorsätzlich. Die angeblich besten Jahre waren inzwischen vergangen, diejenigen zwischen dreißig und fünfzig – und es war ein Nichts gewesen.
    Er hatte damals gerade seine Doktorschrift über die Außenhandelspolitik der EU und ihre Folgen für die Märkte in den Entwicklungsländern veröffentlicht. Vor allem die linksliberale Presse hatte das Buch mit lobenden Worten besprochen, die Grünen hatten ihn mehrfach zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen

Weitere Kostenlose Bücher