Die große Verschwendung
seiner Gegenwart den Satz ausgesprochen: »Wir sind begeisterte Golfer!« Golfspieler war man offenbar hauptamtlich, oder sollte man sagen: hauptmenschlich. Hingegen hätte Gerhild niemals beispielsweise das Folgende gesagt: »Unter anderem esse ich gerne Sauerbraten, ich lese beim Friseur die Gala , und ich spiele auch Golf. Ich habe leider sehr unregelmäßig Stuhlgang, und seit jeher lehne ich den Oralverkehr ab.«
Das Golfen war das wesentliche Projekt ihrer ganzen Persönlichkeit! Sie war ununterbrochen Golfspielerin, wahrscheinlich sogar beim Kacken und Vögeln, so Letzteres denn stattfand!
Glabrecht, in seinem Gartenstuhl, freute sich und schenkte Wein nach. »Geeeeerhild!«, summte er vor sich hin, »Gerheerhild!« – Was für eine entsetzliche Schindmähre! Man sollte sie vernichten.
Sexuelle Spezialtechniker – diese Erkenntnis hatte Glabrecht im weiteren Verlauf seiner Gedanken – konnten das übrigens tatsächlich zusammenführen, nämlich das Vögeln einerseits und die in umfassender Weise lebensprägende Lieblingstätigkeit andererseits, denn das war ja in ihrem Fall in begeisternder Weise ein und dasselbe. In dieser Hinsicht waren sie den Golfern sogar noch überlegen. »Ich bin schwul!«, hatte zum Beispiel der Berliner Bürgermeister trompetet. Damit war wohl alles gesagt, ein Fass voller Bedeutungen geöffnet, in dem jedenfalls wesentlich mehr steckte als der seelische und körperliche Vorgang, von dem doch eigentlich die Rede war, und mehr als die an sich bedauerliche Tatsache, dass dem Schwanz des Betroffenen dabei lediglich zwei statt, wie ansonsten allgemein üblich, drei Körperöffnungen zur Verfügung standen! Offenbar waren das Schwul-Sein und natürlich auch das Lesbisch-Sein unvergleichlich komplexere und anspruchsvollere Tätigkeiten als das Heterosexuell-Sein. Es durchwirkte wohl jede andere Lebenssituation, offenbar auch sämtliche Tätigkeiten innerhalb eines bürgermeisterlichen Arbeitstags. Aber wieso eigentlich?
Das kleine Glas war schon wieder leer.
Glabrecht bemerkte, dass seine Gedankenströme in sehr angenehmer Weise außer Kontrolle geraten waren.
Vielleicht war er, Glabrecht, ja nichts anderes als ein begeisterter Säufer? Schließlich brachte der Alkohol ihm die verlässlichsten Freuden im Leben, und offenbar war auch der Alkoholkater, verglichen mit den Qualen, die auf andere Hochgefühle, zum Beispiel auf das Verliebtsein, folgten, ein relativ niedriger Preis. Einige Minuten hindurch hatte Glabrecht ganz ohne Zweifel eine wahrhaft majestätische Ausstrahlung, die ihm diese herrlichen gnadenlosen Gedanken erlaubte.
Sie hatten durchaus einen aktuellen Anlass: Bürgermeister Alte hatte von seinem persönlichen Referenten tatsächlich den Rat erhalten, die Schirmherrschaft über ein schwules Fetischistenfest in Bremen zu übernehmen. Dies würde die Rolle Bremens als Kreativmetropole mit einem hohen »Gay-Index« betonen, dessen Bedeutung im »Who is Bremen?«-Gutachten betont worden war. Also mussten die Bedingungen für das ungestörte und erfolgreiche Schwul-Sein in Bremen verbessert werden. Im Senat hatte man das abgenickt, die grünen Senatsmitglieder, also Fred Bohnhoff, Umweltschutz-Krause und Glabrecht, sowieso. Als Grüne waren sie ja prinzipiell Freunde unterdrückter sexueller Minderheiten, so lange Tiere und Kinder unbelästigt blieben – und auch aus der SPD gab es nichts als Zustimmung. Für die Festbroschüre war ein Geleitwort des Bürgermeisters zugesagt worden, das die senatorische Allzweckwaffe für solche Fälle, Dr. Breiter aus der Kulturbehörde, zu schreiben hatte. Die Broschüre war inzwischen erschienen, mit einem Foto vom Bürgermeister und seinem Grußwort: »Die internationale Leder- und Fetischszene trifft sich im September in der maritimen Kreativmetropole Bremen. Menschen mit unterschiedlichsten Vorlieben werden die Stadt mit schäumender Lebensfreude erfüllen«, und so weiter.
Niemals würde das gut gehen! Glabrecht hatte sich vorgenommen, auf jeden Fall Ö zum Höhepunkt des Festivals, zur Wahl des »Mister Gummi International« zu schicken. Der Bürgermeister selbst als Schirmherr würde dann mit einem Grußwort des Bremer Senats die abschließende »Pervers-Party« eröffnen, von der es in der Broschüre hieß, die Fetischisten würden zum Teil »ganz nackt« die Nacht durchtanzen. Welch eine beglückende Verheißung! Selbstverständlich hatte Glabrecht zugesagt, den Bürgermeister persönlich auf dieses Leuchtturm-Event zu
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