Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
Vom Netzwerk:
dem Satz Adrianas gar nicht oder allenfalls wie ein exaktes Echo antworten durfte.
    Weitere Sekunden vergingen, und jetzt war plötzlich seine Angst aus ihrem Exil zurückgekehrt, wo sie sich offenbar erholt und gestärkt hatte. Sie war so überdeutlich anwesend, als habe sich die Luft im Zimmer verdickt. Er lag starr, ein Loch war in seiner Brust entstanden, genau dort, wo eben noch seine Hand diejenige Adrianas inbrünstig beschworen hatte. Das Loch reichte hinunter bis tief in die Erde. Adriana wandte ihr Gesicht in seine Richtung, die Augen waren weit geöffnet, und dann kam ihr linker Arm wieder zu Glabrecht zurück.
    »Du wirst es nicht begreifen, du wirst mich verachten, aber ich bin – eine Weile lang John Crawfields Geliebte gewesen.«
    »Was?«
    Er sah Crawfield vor sich, den Millionär, den Milliardär, den Machthaber. Einen Blitz lang sah er den verfetteten Körper, das rote Gesicht. Ende Fünfzig musste er sein.
    In Glabrecht gab es zwei gegenläufige Impulse. Einen Rückzugsbefehl, er war sofort zu befolgen: »Aufstehen, Licht anknipsen, Adriana rausschicken, Schluss!«
    Und den anderen Befehl, irgendwie festzuhalten und zu retten, was entstanden war. Dieser Befehl traf ein paar Sekunden nach dem ersten ein. Er kam von weit her, aus einem Land, in das Misstrauen eingefallen war, und er hatte etwas Trauriges, Bescheidenes, ja Resignatives in sich, aber auch einen verkapselten Kern aus schwerster Verletztheit und aus Wut. Er war unnachgiebig und auf geheimnisvolle Weise stark genug, um eine lange Lebensstrecke Glabrechts zu beherrschen und zu vergiften. Daran gab es keinen Zweifel.
    »Ich habe es selbst nicht begriffen«, sagte Adriana. »Ich fand ihn regelrecht abstoßend, als ich ihn kennen lernte – körperlich abstoßend, meine ich. Und dann gab es diese Nacht auf Antigua, weißt du, alles kam zusammen, Karibik, Alkohol, das Meer und der ganze Kram. Er war ganz anders als sonst, wirklich hinreißend.«
    »Alles war soso romantisch!«, sagte Glabrecht mit krähender Stimme und produzierte ein höhnisches Lachen, von dem er wusste, wie widerlich es klang.
    Seine Beine hatte er inzwischen über den Bettrand geworfen, Adriana den Rücken zugewandt. Er schaute aus dem Fenster, aber er hätte es nicht bemerkt, wenn die Schneeflocken von der Erde zum Himmel empor gestiegen wären. Vom Bauch zum Kopf war es in ihm hinaufgebrannt, heiß und ätzend.
    Er knipste die Nachttischlampe an und ging ins Bad. Ein wichtiger Vorsatz war auszuführen: Er musste sein Gesicht betrachten – und er plante, dies gnadenlos und hasserfüllt zu tun. Alles wollte er auf einen einzigen Blick erkennen, er wollte alle Hiebe erkennen, die er je erhalten hatte, er wollte das Alter sehen, die Vernichtung und den Tod.
    Dann, vor dem Spiegel stehend, erkannte er gar nichts, kein Schicksal, keinen Menschen, keine Bestandteile seines Gesichtes. Nicht einmal sein Rasierblick funktionierte. Adriana erschien hinter ihm. Sie allerdings erfasste er klar im Schein der Leuchten über dem Spiegel. Vor dem Halbdunkel des Raumes über der Badewanne war sie sehr hellhäutig und nackt, ihr Dekolletee sommersprossenübersät. Die Vorhöfe ihrer Brustwarzen waren klein wie ihre Augen, klein und auffällig rot.
    »Georg«, sagte sie.
    Tausend Mal wollte Glabrecht das hören! Seinen Namen aus ihrem Mund, immer wieder. Sein Zorn, das Misstrauen, beide hatten sich innerhalb einer Millisekunde zurückgezogen. Sie legte ihre Hände auf seine Schultern, er spürte ihre Brüste an seinem Rücken, ihre Schamhaare kitzelten seine Haut. Ein, zwei Minuten standen sie so. Vor lauter Erlöstheit wollte er weinen wie ein Kind.
    »Und das läuft immer noch, oder?«, sagte er.
    »Aber Georg, hör auf! John weiß doch, dass ich hier bei dir bin.«
    »John!«, sagte er mit dunkler, aber bescheidener Stimme, »John!«
    Er drehte sich um, und kurz vermisste er jene spektakuläre Verschmelzung der Blicke, auf die er wohl insgeheim gehofft hatte, als Konsequenz der Situation und der Tatsache, dass die Gesichter sich derart plötzlich einander zugewandt, offenbart hatten, dass sie einander erschienen waren. Es sollte doch tatsächlich existieren, um was er bettelte, dass sie nämlich in elementarer Weise versöhnt und vereint waren und dass dies alles so bleiben würde.
    Er war schrecklich enttäuscht. Adriana schaute nur kurz an ihm hinunter und lächelte. »Idiot!«, sagte sie. »Du bist ein so attraktiver Mann!«
    Sie strich mit ihren Handflächen über seine Wangen, von

Weitere Kostenlose Bücher