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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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diesen Körper, nein, in diese fremde Seele hineingefahren war – und es hätte tausend Mal tiefer und radikaler sein können – , das hätte er gern millimeterklar und mikrosekundengenau in seinem Augengedächtnis behalten. Und sein Ohrengedächtnis hätte den Klang von Adrianas Stöhnen so wiedergeben sollen, wie ein MP3-Spieler das konnte: indem es die sehnsuchtsvolle Inbrunst, mit der ihre Stimme seinen Namen ausgesprochen hatte, millionenfach wiederholte und verstärkte, so, als sei diese Stimme endgültig zum jenseitigen Zauber geworden, der Glabrecht von seinem sterblichen Dasein als vereinzelter Körper und Geist erlöste.
    Adrianas Gesicht, als sie mit geschlossenen Augen auf ihm saß und sich, nur ihren Unterleib bewegend, dem Höhepunkt näherte, wie sie ihn küsste. All das war lediglich als Tatsachenerinnerung in Glabrecht anwesend. Er hatte es offenbar bei weitem nicht ausreichend erlebt, und er wusste, dass er es niemals ausreichend erlebt hatte und niemals würde ausreichend erleben können, denn das wäre ja genau die Lösung gewesen, die es mitnichten gab.
    Eines der Bilder war lebendiger geblieben als die anderen. Es machte ihm große Hoffnung, und merkwürdig genug, es war ein keusches Bild. Sie hatten zusammen unter der Dusche gestanden. Das Wasser war an ihr hinuntergelaufen, über das Gesicht, über und in den geöffneten und lachend prustenden Mund. Immer wieder hatte sie das nasse Haar mit beiden Händen gegriffen, den Kopf nach hinten geworfen, die Haare ausgewrungen – nur, um sie sofort danach wieder in die Duschkaskade zu halten. Sie hatte ihm dabei ununterbrochen direkt in die Augen geschaut. Während sich ihr Körper bewegte, blieben ihre Augäpfel fixiert an die seinen, und ihr Blick war gerade und selbstbewusst, ruhig und überlegen.
    5.
    »Sehe ich vielleicht aus wie ein Terrorgeldwäscher? Hören Sie, Herr Dr. Glabrecht, e-bets hat einen FBI-Experten für Computerkriminalität nach Gibraltar eingeladen, freiwillig, wohlgemerkt. Das Unternehmen ist außerdem zertifiziert durch PriceWaterhouseCoopers .«
    Mavenkurt hatte sich Glabrechts kritische Fragen zuvor sehr aufmerksam angehört. Zum zweiten Mal aßen sie zusammen zu Abend. Adriana schien in alle Fragen partnerschaftlich eingeweiht zu sein. Sie saß neben Mavenkurt, Glabrecht gegenüber, und dem fiel es schwer, die Fragen mit jener Ruhe und Distanziertheit zu stellen, die er sich vorgenommen hatte.
    Mavenkurt trug ein auffallend schönes Hemd mit einem blauen Karomuster, von seinem »fünfundachtzigjährigen Hemdenschneider aus Genua«, wie er auf Glabrechts Kompliment hin sagte.
    »Die fürchterlichen Landungen in den Scherwinden des Genueser Flugplatzes nehme ich dafür in Kauf.«
    Er sah um Jahre jünger und flotter aus als neulich in Bremen. Sobald Glabrechts Blick von ihm weg und nach rechts wanderte, wurde er für eine Millisekunde von Adrianas Augen eingefangen, deren Blau durch die frische Gesichtsfarbe und die zahlreichen Sommersprossen um die Nase herum umso leuchtender war.
    »Der Glücksspielumsatz allein in Las Vegas liegt bei jährlich mindestens einhundertfünfzig Milliarden Dollar. Sie können sich vorstellen, dass es dem zuständigen amerikanischen Establishment nicht gefällt, wenn jemand damit anfängt, einen Teil dieses Umsatzes abzusaugen – mit Zukunftstechnologie, mit einem millionenfach reproduzierbaren virtuellen Casino, mit relativ sehr niedrigen Gebäude- und Personalkosten. e-bets ist nicht mehr und nicht weniger unmoralisch, als Las Vegas, Monte Carlo oder Baden-Baden es sind. Im Verhältnis zur weltweiten Casinoindustrie ist Mister Crawfield ein kleiner Fischer, aber er besitzt die beste Technologie. Auf über zwanzig Millionen Rechnern weltweit ist die e-bets -Software installiert. Ich sage voraus: Im nächsten Jahr werden es doppelt so viele sein. Die Regierungen, die gegen uns vorgehen, ärgern sich letztlich über nichts anderes als über die Existenz des globalen Netzes selbst, das es ihnen immer schwerer macht, Steuern einzuziehen.«
    »Und wieso brauchen Sie dann echte Casinos, aus Stein gebaute, so wie in Bremen?«
    »Sagen wir: Um Steuern zu zahlen, lieber Herr Glabrecht«, sagte Mavenkurt und lachte. »Sie können auch sagen: Wir brauchen Schaufenster, Glanz, Prominenz, Society, Celebrities. Und Sie, Ihr Senat, die Politik, Sie brauchen das heutzutage ebenso dringend. Wir sitzen in einem Boot. Und selbstverständlich werden wir dennoch Geld verdienen, was glauben Sie denn? Die

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