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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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durchgedrungen, überall, auch dort, wo sie nicht aneinander geschmiegt waren.
    4.
    Von kalter hochwinterlicher Klarheit waren am nächsten Vormittag das Blau des Himmels und das Weiß der Piste Kreuzweg-Klosters, die sie hinabfuhren. Es fehlten die blendende Helle und der wärmere, der Gelbanteil des Lichts, wie Glabrecht ihn von früher her kannte, als er jeweils später im Jahr, im März, mit den Sportstudenten der Universität Ski gefahren war. An die bislang unbekannte Technologie seiner kurzen Carver hatte er sich schnell gewöhnt, und trotz seiner mittleren Verkaterung und schweren Übermüdung war die alte Sicherheit zurück. Hinzugekommen war die Wendigkeit am Pistenrand und in den Tiefschnee-Shortcuts, die er glücksbeflügelt durchschlängelte, ehe er zurückkehrte in den gewalzten Pistenbereich, zu Mavenkurt und Adriana.
    »In Bremen haben Sie das aber nicht gelernt«, sagte Mavenkurt aus seinem Sturzhelm heraus, der ihm das Wangenfleisch nach vorne geschoben hatte, was ihn, zusammen mit der gelb verglasten Skibrille, seltsamerweise verjüngt erscheinen ließ.
    Adriana und Glabrecht trugen die gleichen Mützen und Sonnenbrillen. Sie hatten sie in dem Skiladen gekauft, aus dem auch ihre Schuhe und Skier stammten: »Partner-Look«, lautete der ironische Kommentar von Mavenkurt.
    Dieser fuhr schnell, mit möglichst wenigen Richtungsänderungen, dennoch sicher, so, als läge sein Schwerpunkt niedriger, als das tatsächlich der Fall war. Adriana war wenig routiniert, musste häufig anhalten, um sich neu einzustellen. Dennoch waren ihre Bewegungen unverkrampft und tänzerisch.
    Während der Gondelfahrt zum Gotschnagrat stand sie neben Glabrecht am Fenster, und ihrer beider Arme berührten sich. Glabrecht versuchte, sich möglichst präzise, vollständig, ja gehirnfüllend daran zu erinnern, was in diesen Stunden geschehen war, die sie nach dem langen Abendessen, während der vergangenen Nacht zusammen in seinem Zimmer, im Bett, auf dem Sessel und unter der Dusche verbracht hatten: wie sehr es nicht nur den filmischen Mustern, sondern auch seinen verärgerten Vorstellungen von Adrianas Treffen mit der Private-Equity-Heuschrecke geglichen hatte! Fünf-Sterne Hotel und Champagnerflaschen neben dem Bett! Genau von diesen lächerlichen Luxusaccessoires profitierte jetzt also er, Glabrecht, der seine Nase immerhin schon in die heilige Schalterhalle der Zergerbank gesteckt hatte.
    Sie hatten fast zwei weitere Flaschen Taittinger geleert. Die erste hatte er mit französischer Aussprache bestellt, sie die zweite mit deutscher: So sei es »sophisticated«, sagte sie lachend. Den kleinen Rest hatte Glabrecht heute früh, nachdem Adriana gegangen war, aus der Flasche getrunken, halb vor Glück, halb wegen seiner Verkaterung. Vielleicht war das ganze verfluchte Glück ein Klischee? »Gelück!«, hatte Glabrecht sehr leise vor sich hin gesagt und erneut einen Schluck genommen. Seinen Blick hatte er in diesen Sekunden nicht scharfstellen können.
    Schon zwei-, dreimal in seinem Leben hatte es diesen Gedanken gegeben: Wie unbefriedigend das Sich-Erinnern war, wenn es in die Tiefe gehen sollte und wenn es sich um glückliche Stunden handelte, an die er sich erinnern wollte; wie hervorragend es andererseits funktionierte, wenn es um ein Unglück ging, das ja in ganz anderer Weise originell war, unverwechselbar, schwer und stets einmalig. Wie wenig von den ersten Malen zurückblieb, den Erfüllungsstunden, und dass mehr Erinnerungsquellen in den Fingerspitzen lagen als in den Augen und in den Ohren.
    Rechts in der Mitte von Adrianas Rücken das Muttermal, über das er mit dem kleinen Finger gefahren war, als er mit den Flächen beider Hände von den Schultern nach unten glitt, dabei die Haut nur leicht berührend; die tiefe Einkerbung der Schweißrinne, in der sich die Spitzen seiner Daumen trafen, was er als Bestätigung seiner eigenen körperlichen Anwesenheit empfunden hatte. Dann hatten seine Handballen auf die anschwellenden Polster der Hüften gedrückt, und wieder waren es seine beiden Daumenkuppen, an deren Erlebnisse er sich jetzt am klarsten erinnerte: dass Adrianas Kreuzbein sich erstaunlich plötzlich und entschieden nach oben bog, das spürte er immer noch in den Händen.
    Wie er dabei über ihr gekniet und sie langsam und tief penetriert hatte, in geradezu kosmischer Begeisterung über die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs!
    Dass hier tatsächlich und unanzweifelbar sein eigener Schwanz, nein, sein ganzes Wesen in

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