Die große Verschwendung
Casinoanlage, integriert in die Unterwasserwelt des Aquariums – das wird ein Riesenerfolg.«
Adriana blieb die gesamte zweite Nacht bei Glabrecht. Schon morgen würde sie von Zürich aus über Kopenhagen nach Oslo fliegen, wegen irgendeiner wichtigen Besprechung am Montag. Glabrecht war sehr erschöpft, auch vom Skifahren, konnte aber ebenso wenig aufhören zu reden wie Adriana. Beide lagen nebeneinander im Bett und schauten an die Decke. Sie erzählten sich gegenseitig weitere Einzelheiten aus ihren Leben.
Glabrecht kannte das, aus den Tiefen seines Daseins. Es war wohl immer das Gleiche, was man sich in dieser Situation erzählte, in der sie beide sich befanden: zuallererst die Schmerzen, die man mit sich herumtrug, die Verletzungen aus der Kindheit, die man nicht recht losgeworden war und deren Verwaltung so viele Talente und Chancen vernichtet, so viel Jahre des Lebens gekostet hatte, Jahre, die mit all dem verknüpft waren, das man, zu Recht oder zu Unrecht, als verlorenes Glück empfand. Unausgesprochen war dabei die Bitte an den anderen, der neben einem lag: »Missbrauche mein Vertrauen nicht, hab Verständnis für mich und verzeih mir das, was ich falsch machen werde. Ich werde vieles falsch machen. Geh nicht fort von mir.«
In diesen Erzählungen und Geständnissen verborgen lag wohl die Hoffnung auf ein langes Zusammensein, auf ein Glück, das wider Erwarten vielleicht tatsächlich auf Lebensdauer existierte, obwohl alle bisherigen Erfahrungen mit der Liebe und dem Glück gegen diese Hoffnung sprachen.
Später, es war bereits nach Mitternacht, begannen Adrianas Fragen nach Glabrechts Verhältnis zu Marianne, auch, ob er noch mit ihr schlafe.
»Gelegentlich, besser gesagt, sehr selten, seit Monaten nicht mehr«, sagte er. Und: »Ich möchte völlig damit aufhören.«
Er wiederum wollte wissen, welche Rolle sie genau im Imperium John Crawfields spielte. Diese Rolle sei doch offenbar eine erheblich wichtigere, als es in Oslo den Anschein gehabt hatte. Adriana war sehr zögerlich bei ihren Antworten. »Assistant to the Managing Director« sei ihre offizielle Funktion. Nun, das war nichts Neues. Glabrecht fühlte sich etwas zurückgewiesen.
Vorhin hatte er die Vorhänge geöffnet. Das Zimmer lag in fahlem Halbdunkel. Seit einigen Minuten sanken wenige, aber sehr große Schneeflocken an der Fensterfront vorbei. Vermutlich erhielten sie Licht von den Laternen am Entree des Hotels. Jedenfalls musste Glabrecht an kleine Lampions denken, die in perfekter Choreografie nach unten fielen. Schon lange hatte er seine rechte Hand auf Adrianas linker Hand liegen, genau dort, wo die beiden Matratzen des Doppelbettes zusammenstießen. Jetzt umfasste er die Hand, hob sie hoch an seine Brust, legte sie vor sich aufs Federbett, mit der Handfläche nach oben. Mit seinen Fingern, die sich das pedantisch genau merken würden, fuhr er in die weiche Handmuschel, drückte die fremden Finger nach oben, bis sie gestreckt waren. Gleichzeitig schob sein Daumen den anderen Daumen, in dem er in dieser Sekunde die gesamte Anwesenheit Adrianas spürte, zur Seite. Adrianas Finger wehrten sich nicht gegen die seinen. Die Kuppe ihres Zeigefingers lag auf dem Nagel seines Zeigefingers, die Kuppe ihres Mittelfingers auf dem Nagel seines Mittelfingers. Ihr Daumen lag auf dem Nagel seines Daumens.
Jetzt, in diesem Moment, als er ihre Handfläche geöffnet hatte, als er die Spannung der Finger spürte, die Adrianas Finger waren, und als er daran dachte, dass auch dies hier, dies alles, rasch vergehen würde, sagte Adriana leise und etwas gepresst: »Georg«, und sie löste ihre Hand von seiner, nahm sie hinüber zu sich selbst. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie sich in diesem Augenblick von ihm zurückgezogen.
»Georg«, sagte sie, und vielleicht hatte sie den Namen noch nie so warm ausgesprochen, gehaucht, gesungen, gestöhnt.
»Ich muss dir etwas sagen, für das ich mich schäme.«
Glabrecht drehte den Kopf zu ihr hin und sah, im Licht der Schneelampions, ein konzentriertes, zur Zimmerdecke gerichtetes Gesicht.
»Du hast mir vom ersten Moment an gefallen. Ich wollte sofort, dass wir uns näherkommen. Und ich habe mich seit vielen Jahren keinem Mann mehr so nahe gefühlt. Vielleicht noch niemals. – Ja!«
»Mir geht es ähnlich«, sagte Glabrecht.
Seine Stimme klang gepresst und heiser, er hatte die Wörter zunächst aus ihrer Beklemmung befreien müssen, in der sie sich nicht nur deswegen befunden hatten, weil er, genau genommen,
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