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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Glabrechts Verdacht war also berechtigt gewesen. Niemals hätte er geglaubt, wie sehr ihn diese Nachricht schockieren würde, ihn, der sich doch spätestens seit Adrianas Eintritt in sein Leben sexuell von Marianne abgewandt hatte. Beat, der so gut erzählen konnte! Das Schwein fickte sie! Die jahrelang als peinlich empfundenen ehelichen Kopulationen lieferten ganz plötzlich erregende Erinnerungsbilder. Dieser junge, durchtrainierte Beat! Eine kleine männliche Nutte, mit Hang zur arrivierten Lady! Er würde sich an Marianne zu schaffen machen, und sein korrumpierter Schwanz, begeistert vom eigenem sozialen Aufstieg, würde riesenhaft und druckvoll in ihr gut situiertes Genital fahren!
    Glabrecht hatte sich befriedigen müssen, um diese Gedanken loszuwerden. Es war seit Jahren das erste Mal, dass er Gedankenbilder von seiner Ehefrau für eine onanistische Aktion verwendete.
    »Wie bei den Spitzmäuserichen«, hatte Madlé gesagt, dem er das alles am Abend nach Mariannes Teilumzug am Telefon erzählt hatte. »Wenn sie zuschauen müssen, wie ein Rivale das Mäuseweibchen begattet, auf das sie selbst vorher Zugriff hatten, sterben sie an Herzversagen.«
    3.
    Die mehr als vierhundert geladenen Gäste klatschten, als der Bundespräsident aus dem Helikopter stieg und von Bürgermeister Alte begrüßt wurde, wobei sich das linksgescheitelte präsidiale Haar im Rotorsturm anhob und nach oben reckte, ähnlich, wie das damals bei Mavenkurt zu beobachten gewesen war, ein Anblick, der auf dem Gelb der gewalzten Sandfläche des zugeschütteten Hafenbeckens und unter dem makellos nordisch-blauen Himmel sogar ein wenig abenteurerhaft und heroisch wirkte. Glabrecht stand zwischen dem aufgekratzt herumzuckenden Dr. Wischmann und Frau Tannenhart, die wieder einmal gestresst und übermüdet aussah. Frau Scholz hatte erzählt, Ö habe jetzt einen Freund, aber das schien nicht sonderlich entspannend zu wirken.
    Fast der gesamte Senat war zum ersten Spatenstich und zur provisorischen Grundsteinlegung gekommen, die übrig gebliebenen Vollmers mitsamt dem unselig eingeheirateten Pseudofürst von Wittgenstein, eine Reihe anderer Mäzene, B- und C-Promis. Auch Frau Dreyer war anwesend und stakte, ganz in Glabrechts Nähe, mit ihren überentwickelten Glocken aus der ersten Reihe hervor. Dutzende von Fotografen flankierten den Gästeblock.
    Ebenfalls mit vorne dabei waren die Vertreter des Investoren-Konsortiums. Der Vorstandsvorsitzende der Steinmann Hochbau AG , Dr. Dietmar von Unruh, der englische Architekt der MO, Sir Raymond Duke, der neue Projektkoordinator, Friedhelm Kulenkampff – und natürlich Mavenkurt und John Crawfield für die Nordic Urban Development . Crawfield war heute früh eingetroffen.
    Auch Adriana war selbstverständlich anwesend. Sie stand neben Crawfield, genauer gesagt: Crawfield stand tatsächlich, vielleicht wie eine lebende Metapher, zwischen Glabrecht und Adriana. Sie war die Assistentin der Geschäftsleitung, sie gehörte da hin. Und Glabrecht konnte nicht anders, auch, während der Bundespräsident sprach, als die beiden zu beobachten, voller Angst vor einer herannahenden Katastrophe. Er beobachtete vor allem Adrianas Blickverhalten, nicht dasjenige Crawfields, denn dass der sich durch nichts aus dem Charakter werfen ließ, den er darstellte, das schien klar zu sein – und diese felsblockartige Charakterkonstanz wird genau der Grund für seine Anziehungskraft auf Adriana gewesen sein. Gewesen? Warum sollte es vorbei sein? Sie schaute Crawfield nicht an, nicht ein einziges Mal.
    »Visionen werden Wirklichkeit«, sagte der Bundespräsident gerade. Wie immer lieferte er zuverlässig Hohlformeln ab, und Glabrecht zählte, ebenfalls wie immer, mehrere sprachliche Fehler in den präsidialen Sätzen. »Und die Hansestadt wird sich mit diesem wunderbaren Vorhaben wirtschaftlich und kulturell neu aufstellen. Private-Public-Partnership wird einen maritimen Leuchtturm errichten, dessen Strahlkraft weltweit zu sehen sein wird.«
    Was war nur aus den Redenschreibern von Richard von Weizsäcker und Roman Herzog geworden? Adriana, etwa sieben, acht Meter entfernt stehend, beugte sich kurz nach vorne, so dass sie an Crawfields Brust und Bauch vorbei blicken konnte, drehte den Kopf zu Glabrecht hin, lächelte, weil sie dessen Vorliebe für den Leuchtturm und all die anderen Schwätzervokabeln kannte, die gerade zu hören waren. Sie lächelte Glabrecht an, aber Crawfield bewegte seinen großen Hemingway-Schädel nicht im

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