Die große Verschwendung
Beat daran Gefallen fände? Eher weniger.
Viertes Kapitel
1.
Im vergangenen Spätwinter hatte er von seinem rituellen Samstagslauf einen Abschnitt vom Stamm einer frisch gefällten jungen Kiefer mitgebracht und im Garten in die Erde gesteckt. Zusammen mit Adriana stand er jetzt vor dem Stämmchen, das vor einigen Wochen damit begonnen hatte, frische Zweige und Nadeln zu treiben. Es tat das ganz ohne Wurzeln. Das neue Leben spross aus dem tot scheinenden Holz heraus. Hiervon sprach Glabrecht gerade eifrig und begeistert, und Adriana gefiel offensichtlich, dass sich ihr Glabrecht derart euphorisch positiv äußern konnte. Tatsächlich erfasste ihn ihr Blick, nur kurz, aber mit einem Lächeln kombiniert, das Zuneigung und auch Stolz enthielt. Jedenfalls hoffte Glabrecht, dass dies der Fall war.
Wie schön sie war! »Überall in diesem Holz steckt der Geist«, sagte er, »oder wie soll ich das nennen? Diese Trillionen von Informationen, unendlich viele, mehr, als wir uns das überhaupt vorstellen können.«
Er formte eine Pinzette aus Daumen und Zeigefinger und zog einen der frischen Kiefernzweige von unten nach oben durch die Fingerkuppen, wobei er die Berührungen der grünen Nadeln wie einen Vertrauensbeweis empfand.
»In jedem einzelnen Stück Holz. Es gibt keine steuernde Instanz, die irgendwas zu dieser Stelle am Stamm geschickt hat, damit die Zweig-Herstellungsmaschinen anlaufen. Jedenfalls hat niemand herausgefunden, wo dieses Gehirn steckt und wie es funktioniert.«
»Ich traue mich kaum noch, ein Stück Holz in den Kamin zu werfen!«, schrie er jetzt, machte Grimassen, weil gerade eben der Vortrag viel zu pathetisch ausgefallen war, und reckte sein Gesicht zum Himmel, lachte Adriana an, führte sich auf wie ein Clown, was in den vergangenen Tagen schon häufiger passiert war, und er nahm sie in die Arme, so, dass er ihr Haar in seiner Halsbeuge spürte, geleitete sie zu seinen Zaunkürbissen, dozierte auch über die geheimnisvollen Bewegungen der Sonnenblumen.
Es war ein Sonntagmorgen, schon wieder schönes, klares Hochdruckwetter, und der Sommer hatte bereits viel Demut in sich. So ruhig und unambitioniert war er, wie Glabrecht ihn am liebsten mochte. Gestern Abend, sie hatten viel Wein getrunken und waren sehr innig zusammen gewesen, hatte Adriana ihn gefragt, wie er seinen Sohn nennen würde – und wie seine Tochter. »Nur mal angenommen«, hatte sie gesagt, mit dem Kopf auf Glabrechts Bauch liegend, und gleich darauf: »Nein, vergiss es, Georg, bitte, ich bin verrückt!«, indem sie den Kopf gehoben, ihr Gesicht zu seinem hin gewandt und gelacht hatte.
»Ruf sofort all deine anderen weiblichen Fans an, deine Sekretärinnen, die in dich verliebt sind!«
Die Enttäuschung, diese Vorahnungen, dieses Misstrauen – das in Oslo mit scheinbar seismografischer Sensibilität empfundene fading der Verliebtheit Adrianas, war das alles Glabrechts Hysterie entsprungen?
»Glabrecht. – Auf der Suche nach seinem Schöpfer!«, sagte Adriana jetzt, nach der Lektion über die Sonnenblumen, lachte und strich sich unnötigerweise die Haare zurück. Und wieder erhielt Glabrecht einen jener nadelstichkurzen und überraschend präzise justierten Blicke von ihr, deren Abfolge immer dichter geworden war, seitdem sich Adriana hier bei ihm aufhielt, so, als begänne sie damit, ihn mit neuen Augen zu sehen. Nicht ein einziges Mal hatte er dabei jenes Wegrutschen des linken Augapfels bemerkt. Hatte es das überhaupt tatsächlich gegeben?
Morgen würde sie Mavenkurt assistieren. Den hatte Glabrecht am vergangenen Wochenende in Liechtenstein getroffen, wo beide an der Stiftungsratssitzung teilgenommen hatten, in der unter anderem die Finanzierung des geplanten Kunstfestivals Seawards abgesegnet worden war. Mavenkurt, der Vorsitzende des Stiftungsrats, hatte Glabrecht mit lobenden Worten vorgestellt und ihn für künftige Aufgaben in der Stiftung empfohlen.
Nach Bremen waren Mavenkurt und Adriana anlässlich der künftig regelmäßig stattfindenden Arbeitssitzungen des Investorenkonsortiums gekommen, und natürlich wegen der Grundsteinlegung für die Maritime Oper , die übermorgen stattfinden würde, genau ein Jahr nach der entscheidenden Konferenz in Oslo, unter Beteiligung Bundespräsident Köhlers und natürlich – John Crawfields. Mavenkurt hatte Glabrecht versichert, er werde sich darum bemühen, dass Adriana dauerhaft in Bremen »stationiert« werden könne.
Vermutlich nahm Mavenkurt Frauen durchaus ernst. Gewiss
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