Die große Verschwendung
mochte er sie auch, und er räumte ihnen wahrscheinlich eine wichtige Rolle in seinem Leben ein. Auf Glabrecht jedoch übten sie eine ganz andere Macht aus als auf Mavenkurt und seinesgleichen. Das allerdings konnte jener nicht wissen. Die meisten pragmatischen, erfolgreichen und reichen Männer, die Glabrecht etwas näher kennen lernte, zeigten sich ausgesprochen testosteronstark und begehrten schöne junge Frauen. Aber sie hätten sich niemals von diesen Frauen ernstlich verletzen lassen. Sie legten nämlich, erstens, nur einen Teil ihrer Lebenshoffnungen in sie. Zweitens betrachteten sie Frauen prinzipiell als käuflich und deswegen als jederzeit ersetzbar.
»Lieber Herr Glabrecht«, hatte Mavenkurt gesagt, »ich halte Sie für einen Mann, der zu unterscheiden weiß zwischen den erotischen Dingen und den Dingen der Vernunft. Sie werden sich zu schützen wissen.«
Glabrecht hatte genickt und in diesem Moment tatsächlich geglaubt, dass Mavenkurt ihn völlig richtig einschätzte. War er nicht ebenfalls einer von ihnen, gehörte er nicht dazu? Schließlich saß er bereits im Stiftungsrat in Liechtenstein. Dieser Gedanke war ihm ein mächtiger Freund.
Weil Adriana seit zwei Tagen die Abende und Nächte in seinen Mauern verbrachte, musste er das gesamte Haus neu erfinden. Alles stellte sich plötzlich anders dar, jeder Raum, jeder Winkel, und dass er sich selbst, Marianne und Dritten seine diversen neurotischen Spektakel jahrelang sehr stolz und feindselig vorgeführt hatte, das wurde ihm erst jetzt richtig klar. Für das Wein-Zwischenlager auf dem Dielenschrank, das Adriana ironisch kommentierte, entschuldigte er sich höflich. Aus Versehen sei eine Weinbestellung zu groß ausgefallen! Adrianas mit Inbrunst vorgetragene Komplimente für seinen nackten Körper hatten die Selbsterniedrigungsorgien vor dem Badezimmerspiegel vorerst beendet. Sogar der Rasierblick war außer Kraft gesetzt. Den allmorgendlichen Medikamentencocktail hatte er heute heimlich eingenommen. Gestern früh hatte er die Prozedur sogar völlig weggelassen, sich darauf beschränkt, Granatäpfel auszupressen und mit zwei Gläsern des Zaubersaftes, der neuerdings zu seinem Arsenal lebensverlängernder Maßnahmen zählte, zu Adriana ins Schlafzimmer zurückzukehren. Das Zolpidem war aus seinem Nachtschrank ins Badezimmer gewandert. Nachts hatte er dann einen Harndrang simuliert, um sich den Stoff zuzuführen, der ihn alsbald in jenen Schlaf versetzt hatte, den ein naiver Beobachter als zufrieden oder sogar glücklich bewertet hätte. Und wahrscheinlich hätte Glabrecht das Zolpidem gar nicht gebraucht, und vielleicht wäre sein Schlaf tatsächlich zufrieden oder sogar glücklich gewesen. Lilli schlief seit zwei Nächten frech auf dem Bett, manchmal sogar auf Glabrechts Unterschenkel – das hatte er ihr vorher niemals erlaubt. Sie hatte sofort begriffen, dass Adrianas Anwesenheit im Haus das betreffende Verbot außer Kraft gesetzt hatte.
2.
In Gedanken hörte Glabrecht Marianne, wie sie ihn deswegen verspottete. Sie war fast unmittelbar, nachdem sie aus Wiesbaden zurückgekommen war, zusammen mit einem Teil ihrer Klamotten sowie ihren Bürosachen ausgezogen. Fred und Annie waren mit ihrem Renault Kangoo gekommen, um ihr zu helfen. Abends, als Berlepsch seinen Chef zu Hause abgesetzt hatte, war Marianne weg gewesen.
Vorausschauend hatte Glabrecht Alicija bestellt, um Ordnung zu schaffen, saß, noch im Mantel, den Aktenkoffer an seiner Seite, im Sessel neben dem Dielenschrank, schaute ihr erschöpft und verwirrt dabei zu, wie sie die Spuren des Teilumzugs beseitigte. Ob sie allein lebe, fragte er plötzlich, in die Stille hinein, die lediglich von den schwachen Geräuschen des Bodenwischers auf den Fliesen gestört wurde.
»Getrennt von meinem Mann«, sagte Alicija und drehte sich zu Glabrecht hin, mit roten Gummihandschuhen an den Händen, verschwitzt und ungeduscht wirkend, was ihn, trotz oder gerade wegen seiner Müdigkeit, etwas erregte.
Wäre er keine öffentliche Person, sondern, zum Beispiel, vermögender Kleinunternehmer gewesen, hätte er sie in diesem Augenblick gebeten zu bleiben und etwas zu kochen »für uns beide«.
»Du wirst mir erlauben, dass ich das Meiste erst mal hier lasse«, hatte Marianne gesagt.
Selbstverständlich hatte er erlaubt. Die Presse würde früh genug von ihrer Trennung erfahren, auch ohne Umzugswagen vor dem Haus. Im Übrigen deutete Marianne an, sich auch privat mit ihrem Fitnesstrainer Beat zu treffen.
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