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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zu seinem Artikel sogar noch Fotos gebracht: Die beiden waren mal ein Paar gewesen, jawohl, sie hatten's miteinander getrieben, und das ging so weit, daß sich dieser Saynfeldt von seiner Frau trennte – und jetzt, jetzt standen sie sich vor Gericht und offensichtlich als Gegner gegenüber, denn Saynfeldts Gutachter hatte schließlich genau das Gegenteil gesagt und lebenslängliches Gefängnis mit Sicherheitsverwahrung verlangt …!
    »Frau Dr. Reinhard, ist es richtig, daß gerade die Voraussagen über die Rückfallmöglichkeit der Sexualtäter zu den schwierigsten Bereichen der forensischen Psychiatrie zählen?«
    »Ja. Das ist richtig.«
    »Ist die Information ferner richtig, die mir hier vorliegt …« Er blickte mit gespielter Aufmerksamkeit auf den Zettel, den er in der Hand hielt: »… daß Ihre Gerichtszulassung als Sachverständige nicht etwa auf einer gründlichen Ausbildung, sondern auf einem Schnellkurs beruht, der nicht viel mehr als zwei Dutzend Stunden umfaßte, und daß es nun zum erstenmal ist, daß Sie hier als Gutachterin in einem derartigen Prozeß auftreten?«
    Isabella fühlte eiskaltes Prickeln in den Fingerspitzen und gleichzeitig den Zorn, der in ihr hochschoß, aber sie bezwang sich: Hier mußt du durch! Ruhe jetzt. Ganz, ganz ruhig … Langsam wandte sie sich Richard Saynfeldt zu, um ihn ganz genau zu betrachten.
    Totenstille herrschte im Raum.
    »Alle wesentlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Psychologie und Psychiatrie zählen auch auf diesem Zweiggebiet. Forensische Psychiatrie ist also kein Sonderfall.« Sie lächelte: »Wir beide, Herr Oberstaatsanwalt, kennen uns seit Jahren … Gerade Sie müßten daher wissen, daß ich als klinische Psychologin und Psychotherapeutin meine fachliche Kompetenz bei der Behandlung von Hunderten von Patienten bewiesen habe.«
    Aus dem Geflüster wurde eine Geraune und Gemurmel. Der Vorsitzende bat sich Ruhe aus, und es wurde wieder still.
    »Wie ich schon sagte, Herr Ladowsky hat nach seiner vorherigen Straftat nicht die geringste ernstzunehmende psychologische oder psychiatrische Betreuung erhalten. Der einzige Mensch, der sich mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten bisher befaßt hat, war ich. Ich habe ja auch über ihn publiziert.«
    Sie lächelte wieder: »Aber ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir mit der Problematik der Ausbildung und der Rückfallprognose die Gelegenheit geben, noch ein anderes, sehr wichtiges Thema aufzugreifen.«
    Sie wandte den Blick von Saynfeldt und richtete ihn zum Saal: »Die forensische Psychiatrie gehört zu den Stiefkindern der psychiatrischen Wissenschaft. Es gibt weder genügend Ausbildungsstätten noch genügend geeignete Lehrer, es gibt noch nicht einmal einen Lehrstuhl an irgendeiner Universität, was wirklich skandalös zu nennen ist … Dieser Punkt muß schon im Interesse der allgemeinen Sicherheit dringend geändert werden. Zum anderen aber …« Und nun machte Isabella eine Handbewegung, die den ganzen Raum umfaßte: »Niemand, auch nicht die größte Kapazität auf diesem Gebiet, nicht einmal ein Genie könnte zum Beispiel eine Voraussage treffen, ob all die Menschen, die hier in diesem Schwurgerichtssaal versammelt sind – und dabei schließe ich das verehrte Gericht sowie den Herrn Oberstaatsanwalt mit ein –, auch in Zukunft als zurechnungsfähig bewertet werden könnten … Es gibt keine Garantien hinsichtlich der psychischen Stabilität, auf die wir uns meist alle verlassen. Sie kann uns erhalten bleiben, aber sie kann genausogut eines Tages irgendwelchen krankhaften und gefährlichen Schwankungen oder Änderungen ausgesetzt sein.«
    Geraune. Und die Menschen im Saal starrten sie an, starrten sich selbst an, begannen miteinander zu reden. Selbst Landgerichtsdirektor Martin vergaß es, diesmal um Ruhe zu bitten. Nachdenklich die Stirn gekraust, musterte er den Angeklagten. Nur Saynfeldt, Zorn im Gesicht, hob die Hand – um sie dann wieder fallen zu lassen.
    Isabella zog das Mikrofon noch näher heran. »Der Herr Vorsitzende hat zu Beginn des Verfahrens einen wichtigen Satz ausgesprochen: daß wir hier über einen Menschen richten. Und so wie für diesen Menschen gilt für uns alle, daß wir auf der Bühne unseres Seins unsere Rolle spielen müssen. Wir haben sie gelernt, oder sie wurde uns aufgezwungen. Unsere Vorbilder, die Eltern, die Mentoren, die Freunde, wer immer die Lehrer sein mochten, die Menschen, deren Beispiel wir folgten und die wir verinnerlichten oder haßten, waren für

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