Die Gutachterin
haben wir somit dir zu verdanken, was …?«
Sie fragte, ob es ihm recht sei, wenn sie noch heute nach Mettenau hinauskäme?
»Aber natürlich. Und ob! Ich freu' mich doch auf dich!«
Kaum hatte in der weiträumigen Halle der Wachbeamte das Telefon niedergelegt, mit dem er Bennartz die Ankunft Isas gemeldet hatte, kam der Anstaltsleiter bereits die Treppe herunter – größer, kräftiger und selbstsicherer erschien er ihr als der Bennartz von einst. Keine Eulenbrille mehr, nein, schicke, modische Augengläser – nur die von der Optik ins Riesige vergrößerten, grauen Augen schienen dieselben geblieben zu sein.
»Isa!« Er kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu: »Isa, daß es uns beide noch gibt! Na, wie finde ich das …? Ist doch eigentlich großartig, nicht? Und – soll ich dir den Laden gleich zeigen, oder kommst du erst mal in mein Büro auf einen Kaffee?«
Sie ahnte, was ihm wichtiger war, also sagte sie: »Aber natürlich, Markus, zuerst mal der Rundgang.«
Doch auch das war nicht die ganze Wahrheit. Sie wurde sich plötzlich bewußt, daß sie eine gewisse Angst vor dem Augenblick hatte, Ladowsky gegenüberzutreten – was sie wollte, war eine Art Gnadenfrist …
Und so ging sie dann an Bennartz' schweigenden, verschlossen blickenden Zöglingen vorbei, durch Turnhallen, Werkstatträume, über eine Theaterbühne, ließ sich das große Schwimmbad zeigen, die Saunen, und bei all der farbenfunkelnden, frischen, beinahe luxuriösen Atmosphäre, die sie an den Ligaslogan erinnerte: FÜR SOLCHE MÖRDER STEUERGELDER – NEIN!, schob sich ein Gedanke immer stärker in den Vordergrund: Was soll das eigentlich alles? Gut, du hast ihn vor dem Gefängnis bewahrt und damit den Gesellschaftsvertrag durchgesetzt, der sich Strafrecht nennt – aber warten nicht andere, wichtigere, wertvollere Menschen auf deine Hilfe? Und wirst du der Herausforderung überhaupt gewachsen sein, hier, unter diesen Umständen, eine schwierige, langwährende Therapie an einem vom Wahn geschlagenen Mörder durchzuführen?
Doch umgekehrt: Zu was wird es führen, wenn er erfährt, daß der einzige Mensch, zu dem er Vertrauen gewonnen hatte, ihn jetzt im Stich läßt?
Ja, der einzige Mensch, den es noch gab für ihn …
Nun endlich saßen sie sich im Büro des Anstaltsdirektors gegenüber. Bennartz lächelte anerkennungshungrig.
»Ein Sanatorium«, sagte sie halb ironisch, halb ernst. »Wirklich, wenn eine solche Anstalt Beispiel machen könnte …«
»Na ja, wollen mal sehen.«
»Und was ist mit Ladowsky?«
»Ja, Isa, da wären wir nun beim Thema.«
»Hat er Probleme mit den anderen?«
»Die hat er nicht, weil er sie gar nicht haben kann. Dafür habe ich schon vom ersten Tag an gesorgt. Die Jungens hier sind alle schwer geschädigt. Und sie haben nicht nur Drogen oder Delikte auf dem Buckel, es gibt auch hundertprozentige Psychopathen darunter.«
»Du meinst, sie könnten aggressiv werden?«
»Natürlich. Was sonst? Aber an den können sie nicht ran, weil sie ihn gar nicht sehen. Sie wissen, daß er hier ist, aber er wohnt getrennt, in einem kleinen Bau. Wir nennen ihn den ›blauen Bungalow‹. Daran schließt sich ein kleiner Garten.«
»Und fühlt er sich da nicht einsam?«
»O nein. Ich glaube, er ist froh darum. Er weiß ja, was die anderen von ihm halten. Außerdem, ich glaube, er fühlt sich irgendwie befreit, er fühlt sich als Gewinner, und er hat ja auch gewonnen. Ich habe ein paarmal mit ihm gesprochen. Na, was auch immer mit ihm los sein mag, mir scheint, er ist zufrieden. Übrigens, er sieht ja wirklich unglaublich aus, der Typ. Der Zeitungen haben ihn ständig mit James Dean verglichen, und da ist was dran. Du wirst ihn nicht wiedererkennen.«
»Weiß er, daß seine Mutter tot ist? Ob er es damals im Gerichtssaal mitbekommen hat, ist mir nicht klar.«
Bennartz wiegte zögernd den Kopf hin und her. »Wir haben überlegt, ob wir es ihm sagen und darüber reden sollen, beschlossen dann aber, lieber abzuwarten.«
»Aber er hat doch ein Radio oder Fernseher?«
»Die anderen schon – er nicht. Übrigens, er fragt täglich nach dir.«
Isabella zögerte. »Ja«, sagte sie, »und doch bin ich nicht sicher, ob ich die Geschichte packe.«
»Was soll das heißen?« Seine Eulenaugen wurden schmaler. »Willst du den Therapieauftrag etwa nicht annehmen?«
»Ja. Und ich überlege, ob ich das dem Gericht mitteile.«
Er gab dem Schreibtischstuhl einen Stoß, daß er bis zur Wand zurückrollte, und starrte sie an: »Das
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