Die Gutachterin
gefangen.
»Isabella, ich muß dich warnen.«
»Vor was?«
»Vor dir selbst. Vor den Konsequenzen dessen, was du tust. Vor allem, was dir beruflich daraus erwachsen könnte.«
Irgendwo in ihr flammte ein Signal auf, sehr schwach noch, doch sie glaubte etwas zu ahnen … Aber das war doch unmöglich? Wie sollte er etwas von Reuters Angebot erfahren haben? Am Fall Ladowsky war er interessiert, das stimmte, doch woher hatte er die Information …? Jürgen! dachte sie. Natürlich: Der liebe Vetter Jürgen Saynfeldt … Jürgen hatte ihr doch selbst gesagt, daß er in bestimmten ›strafrechtlich relevanten Wirtschaftsfragen‹ mit der Kanzlei Reuter zusammenarbeite. Und ›Zusammenarbeit‹ bedeutete mit Sicherheit, daß in der Kanzlei des Professors eine Kontaktperson saß.
»Ladowsky? Ist es das?«
»Was sonst …?«
Er trat schon wieder das Gaspedal durch, schoß zwischen einem Spalier von roten Bremslichtern auf den kleinen freien Raum zu, der sich hinter einem Milchlaster gebildet hatte. Ihre Wahrnehmung war wie abgeschnürt. Sein irres Fahrverhalten … dann dieses: ›Was sonst …?‹ Dabei hatte ihn doch immerhin seine Frau verlassen, die beiden Kinder waren weg, das Haus stand leer, er ging nicht einmal mehr hin; wie er ihr gesagt hatte, wohnte er jetzt irgendwo in der Nähe des Gerichts. Und noch etwas kam schließlich hinzu: die schlichte Frage, warum eine Beziehung, die drei Jahre überdauert hatte, auf diese Weise zu Grabe getragen werden mußte? Doch dies alles schien kein Gewicht zu haben.
Nur: Der ›Fall Ladowsky‹!
Darum ging es.
Die Auspuffrohre des Lkw, der vor ihnen fuhr, pusteten blaugrauen Dieselqualm vor die Scheibe.
»Reuter!« schrie er. »Ausgerechnet! Für wen hältst du mich eigentlich? Was für ein Bild hast du von unserer Branche? Du wirst sagen, du kennst sie nicht, und genau das ist dein Fehler. Laß dich also aufklären: Was immer in dieser Stadt in Juristenkreisen läuft, man erfährt es. Und ich gehöre zu den ersten, die es erfahren.«
»Was hast du erfahren?«
»Was schon? Daß Reuter von dir im Fall Ladowsky ein Gutachten will.«
Er tat ihr fast leid, ja sie fühlte eine kleine Welle von Sympathie, wie er da so verbissen und grimmig über seinem Lenkrad hing und irre Sätze gegen eine rauchvernebelte Windschutzscheibe brüllte. »Du irrst dich, Richard.«
»Ich?!« Empört schraubte er die Stimme hoch. Doch statt des ›Ich irre mich nie‹, das sie erwartet hatte, folgte die Frage: »Wieso?«
»Hör zu, Richard! Reg dich endlich ab, ja?« Sie legte die Hand auf seinen Unterarm: »Reuter hat mir zwar ein Angebot gemacht, das stimmt … Aber ich bin nicht darauf eingestiegen. Und noch etwas: Ich bin nicht etwa deswegen nicht darauf eingestiegen, weil das dein Fall sein könnte, sondern weil ich in Urlaub fahren möchte.«
Wieder der Blick. Und wieder das wilde Kopfschütteln: »Glaub' ich dir nicht.«
»Was du glaubst, ist mir völlig schnuppe.«
»Du arbeitest mit ihm zusammen, Isabella. Du bist scharf auf diese Geschichte – du hast es ja schon einmal erfahren, was ein solcher Fall bringen kann. Aber diesmal wirst du dich täuschen. Du bist kindisch, naiv bist du – du mußt verrückt sein.«
»Und du besoffen. Nimm dich doch endlich zusammen.«
»Wie soll ich mich zusammennehmen, wenn ich zusehen muß, wie du, meine Freundin, die Frau, die ich am meisten geliebt habe, dich anschickst, mir das Messer in den Rücken zu stoßen.«
Sie schluckte. Nun hatte sie wirklich keine Antwort mehr.
»Ja, das Messer!« schrie er. »Aber du wirst dich selbst damit umbringen, du wirst dich ruinieren. In deiner gottverdammten, blöden Einfalt wird dir nicht klar, auf was du dich einläßt. Denn das ist mein Fall. Und sie werden uns beide ruinieren … Sie werden alles zerstören, was ich aufgebaut habe, meinen Namen, meine Karriere …«
»Wer?«
Er trommelte mit beiden Fäusten auf das Lenkrad. Der Polizist an der Ecke blickte herüber. Sie malte sich aus, was geschehen würde, wenn Richard in das Röhrchen blasen müßte. Ihr unwillkürliches Lächeln war nichts anderes als eine Abwehrreaktion gegen ihre jähe Erregung.
»Lach mich aus, jawohl! Zynismus, das ist es, worauf ich gewartet habe! Überheblicher Psychologenzynismus.«
»Wer wird uns ruinieren?«
»Na, wer schon? Die Presse natürlich. Das ist doch das erste. Jeder weiß es doch hier in Frankfurt, was zwischen uns gelaufen ist. Jeder. Die warten nur darauf. Für die Journaille wird das doch zur Arena, ach
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