Die Gutachterin
der Menschlichkeit geschlagen haben.«
Ladowsky … Warum verfolgte sie dieser Fall?
»Ich verstehe nicht sehr viel von Ihrem Geschäft, Herr Professor …« Sie fühlte eine Anwandlung von Schwäche. »Aber das, was man so schön den gesunden Menschenverstand nennt, sagt mir, daß dieser Fall nicht gerade dazu geeignet ist, Ihre Position zu festigen.«
Er schüttelte den Kopf. Sein Gesicht wurde ernst: »Da täuschen Sie sich. Es gibt keine geeigneten und keine ungeeigneten Fälle, es gibt nur die Spielregeln. Und die müssen eingehalten werden. Man hat Ladowsky, wie ich erfahren habe, bereits im Krankenhaus bedrängt, und mehr als das, er wurde von einem Mitgefangenen tätlich angegriffen, so daß er im Gesicht Verbrennungen erlitt. Die Fürsorgepflicht des Strafvollzugs wurde also vernachlässigt. Dazu haben die Ermittler ihn in die Zange genommen, obwohl er wegen der Verletzungen unter Medikamenteneinfluß steht – und alles, bevor das Vorverfahren überhaupt eröffnet ist. Dies alles schon sind eklatante Verstöße.«
Ladowsky – sie wollte nichts von Ladowsky hören und nichts von Ermittlern oder Anklägern, und sie stellte auch nicht die Frage, die ihr auf der Zunge lag: welcher Staatsanwalt die Ermittlungen führen würde.
Sie sagte nur: »Ich will Ihnen jetzt nichts vormachen, Herr Professor, und es ist auch mehr als eine Floskel, wenn ich Ihnen sage, daß ich es als eine Anerkennung empfinde, daß Sie mir dieses Angebot machen – aber ich kann nicht.«
»Und warum?«
»Es sind rein private Gründe. Ich brauche dringend Urlaub. Und ich habe meinen Flug schon gebucht …«
* * *
Die letzte Klientin des Freitagvormittags hatte abgesagt, und Isabella war heilfroh darum. War es doch hundertmal schöner, am Schreibtisch zu sitzen und in dem großen Kuvert zu wühlen, das ihr die ›Intermondo-Reisen‹ heute morgen durch Fahrradkurier hatte zustellen lassen: Kuba. Kuba in allen Farben. Kuba mit allem, was es zu bieten hatte. Ein Kuba verfallender Pracht und selbst auf Werbeaufnahmen nicht zu retuschierenden Elends, aber auch das andere Kuba, das Kuba des neu boomenden Tourismus, der blitzenden Hotelpaläste, der weißen Strände und der sexy in die Kamera strahlenden dunkelhäutigen Schönheiten.
Die Karibik hatte Isabella nie erlebt, obwohl sie doch mit einer südamerikanischen Jugend aufwarten konnte. Für sie hieß Südamerika eben Peru. Bis zu ihrem sechzehnten Geburtstag hatte sie in Miraflores gelebt. Allerdings – was hatte die Villenvorstadt am Rande Limas mit Südamerika oder auch nur Peru zu tun, mit den wilden Bergketten der Anden, dem feucht-stickigen Dschungel dahinter, der quirligen Armut der Hauptstadt? – Miraflores, das war die English School, waren Tennisplätze, Partys, ein Leben zwischen Personal und vergoldeten Wasserhähnen.
Gut, sie hätte ihre Mutter besuchen können … Die hockte dort allein in ihrem ›Casa Vistamar‹ und bepflasterte die Wände der Wohnhalle mit Bildern, aber Mama hockte nun einmal gerne allein … Tat sie das wirklich? Oder redete sie sich das ein, um sich darüber hinwegzutäuschen, daß sie eine ziemlich unaufmerksame Tochter war? Doch war Mama je eine aufmerksame Mutter gewesen? Im Grunde litt Isa an ihr wie sie an Isa: Sie liebten sich und wollten doch nicht zueinander – eine der vielen Erkenntnisse, die sie ihrer Lehranalyse bei Ernst Hauschild verdankte und die wie viele andere irgendwie richtig war, leider nur irgendwie … Jeder Anruf, und sie telefonierten ziemlich häufig, bestätigte das.
Nun, nicht nach Lima, nach Kuba würde sie fliegen.
Und der Ort trug auch noch den schönen Namen Santa Margarita.
Sie warf einen letzten Blick auf den geschwungenen, knallblauen Pool des Hotels ›Residencia‹: Mitten aus dem Wasser erhob sich eine kleine Insel, und auf der Insel wiederum stand die Bar, an der sich Bikinischönheiten und ihre Begleitung in der Sonne räkelten. Einen neuen Bikini? Brauchst du dringend! Oder besser gleich mal zwei … Deine alten aus dem Tessin werden unter der Karibiksonne nicht bestehen …
Sie schob die ganze Pracht in den Umschlag zurück, als das Telefon anschlug: Peter Aman, ihr Kollege.
»Ich denke, es ist aus?« meldete er sich fröhlich.
»Was?«
»Die große Richard-Saynfeldt-Schau.«
»Laß du mich in Frieden.«
»Dann geh du mal ans Fenster.«
Das tat sie.
Der schwarze Porsche.
Es war genau zwölf Uhr vierzig. Sie würde sich von dem Herrn Oberstaatsanwalt nicht von ihren Bade- und
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