Die Gutachterin
war ganz deutlich, alles war taghell!
Isa drehte sich um.
Die Fassade und die Seitenwände des Hauses standen noch, eingehüllt von Flammen. Dort oben, wie mit einer Schere ausgeschnitten, sah man das hell glühende Rechteck des Fensters: Ludwig Ladowskys Zimmer …
Wie in einer Vision erschienen wieder die vier Puppen auf der Kinderbank vor ihr, sie sah, wie sie brannten, nach vorne kippten und ins Feuer fielen …
Es war die übliche Katastrophenszene: Blaulichtfunkeln, Kommandos, Uniformen, Feuerwehrleute mit Helmen und Schläuchen, der Notarztwagen, Polizisten, die Absperrungen zogen. Sie untersuchten Hilde Ladowsky nicht lange, sie packten sie einfach auf die Trage, schoben sie in den Wagen und fuhren weg.
Hinter der Absperrung stauten sich Menschen. Es waren wohl mehr Neugierige als Nachbarn. Ihre Stimmen waren kaum zu hören. Alle starrten gebannt ins Feuer. Die Flammen hatten noch immer das Wort.
Isa saß in einem VW-Bus der Polizei und ließ über sich ergehen, was wohl dazugehörte: Name? Adresse? Gründe ihres Aufenthalts am Tatort …?
Während sie fragten, verband ein Sanitäter, den der Rettungsdienst ihretwegen hiergelassen hatte, die Brandwunden an ihrem rechten Arm und ihrer Hand. Das Novokain begann zu wirken. Sie spürte keine Schmerzen. Noch immer war sie unnatürlich ruhig. Nicht schlimm, dachte sie, den Zusammenbruch genehmigst du dir später …
Was sie beschäftigte, war ihr Aussehen. Jemand gab ihr einen Taschenspiegel. Das Zittern reduzierte sich auf die Finger. Der Anblick war grauenhaft: Die Haare versengt, das Gesicht rauchverschmiert!
Sie versuchte sich so gut es ging mit ein bißchen in Salbe getauchter Gaze zu säubern.
»Wird Frau Ladowsky durchkommen?«
»Glaub' schon«, sagte der Sani. »Hatte bei allem noch 'nen prima Kreislauf. Nur die Brandwunden am Kopf …«
Schrecklich sah er aus, dachte Isa, wie ein roter Kürbis …
»Und Sie haben keinerlei Beobachtungen gemacht?« nahm der Beamte die Fragerei wieder auf. »Sie haben doch gerade geschildert, daß Ihnen die Umgebung des Hauses so dunkel, so still erschienen ist. Haben Sie da nicht etwas gehört, irgendein Geräusch?«
»Nein. Tut mir leid.«
»Kein Ästeknacken, keine Stimmen, gar nichts?«
»Gar nichts.«
Sie starrte wieder, gefangen in einer Art morbider Faszination, in ihren Spiegel und begann erneut an ihrer Stirn herumzutupfen.
»Könnten Sie eine etwas genauere Auskunft über den Grund Ihres Besuches bei Frau Ladowsky geben, Frau Doktor …?«
Das war eine neue Stimme. – Bisher waren es zwei Beamte gewesen, die die Fragen stellten, nun gab es noch einen dritten.
Das Innere des Polizeibusses war klar ausgeleuchtet, die Lampe befand sich in der Dachmitte. Der Frager hatte sich vor sie geschoben, so daß sie nichts erkennen konnte als eine graue, mit vielen Taschen besetzte Fischerweste.
»Ich bin Psychiater«, antwortete sie ruhig. »Ich habe schon vor drei Jahren, nach dem ersten Mord, eine Arbeit über Ladowsky geschrieben.«
»Und nun sind Sie zu seiner Mutter gefahren, um wieder über ihn zu schreiben?«
»Ist das denn für Sie wichtig?«
Er richtete sich ein wenig auf und wandte ihr den Kopf zu; jetzt sah sie sein Gesicht: das magere, schlecht rasierte und erschöpft wirkende Gesicht eines etwa vierzigjährigen Mannes. Was ihr gefiel, war der freundlich-mitfühlende Ausdruck seiner hellbraunen Augen.
»Wichtig, Frau Reinhard? Was wichtig ist, bleibt in solchen Fällen immer ein Problem. Außerdem …«
Den Rest konnte sie nicht verstehen. Draußen brüllten sie Kommandos. Sie hatten ein neues Pumpenaggregat angeworfen. Der Motor dröhnte. Einer der Polizisten, die sie zuvor vernommen hatten, räumte seinen Platz. Der in der Fischerweste setzte sich ihr gegenüber.
»Frau Doktor, ich weiß, daß diese Befragung eine Tortur für Sie ist. Sie zeigen wirklich gute Nerven und haben es bis jetzt durchgestanden …«
»Warum hören wir dann nicht auf damit?«
»Sofort. Nur eine letzte Frage. Ich habe Ihre bisherigen Aussagen mitgehört. Sie waren der letzte Mensch, der mit Frau Ladowsky sprach. Und vermutlich wollten Sie etwas über ihren Sohn erfahren – nicht wahr?«
»Es kam ja gar nicht zu einem Gespräch. Ich hab' das doch vorhin schon gesagt: Bevor ich irgendeine vernünftige Antwort von ihr erhalten konnte, ging das ja schon los mit dem Feuer.« Ihre Stimme zitterte, sie war dabei, ihre ›guten Nerven‹ zu verlieren, und fühlte es heiß in ihre Augen steigen. Wieso, zum Teufel,
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