Die Gutachterin
Blick zu: »Na, dann du«, sagte Schiermann. »Wenn du schon so großen Wert drauf legst …«
Sie überquerten die Straße. Die Schwierigkeiten begannen bereits bei der Gartentür: Sie war abgeschlossen.
Schiermann läutete und brachte seinen ersten Satz von Gewicht: »Und du glaubst wirklich, daß das was bringt? Was willst du eigentlich?«
»Immer das gleiche, Eddy.«
»Täterbild, Täterbild, was? – Über Ladowsky gibt's ja schon 'n ganzes Kilo Akten.«
»Genau, Eddy – Akten.«
Drüben am Haus ging die Tür auf. Berling blickte den mit Zementplatten belegten Weg entlang. Ein paar Rosensträucher, die keine Blüten trugen und halb verdorrt waren, ein grüner Abfallcontainer aus Plastik, an dem ein Kinderfahrrad lehnte, die Teppichstange – Schluß.
Die Tür entließ eine Frau, der man ansah, daß sie sich hier zu Hause fühlte. Sie schlurfte in ihren Birkenstocksandalen über das Zementprofil, die Schultern waren trotz des engen roten Pullovers, den sie trug, nach vorne gekrümmt, beide Hände hielt sie beim Laufen hinter dem Rücken, als wolle sie sie dort abwischen. Blonde, ungepflegte Haare fielen ihr in die Stirn. Ihr Gesicht war nicht nur ablehnend, sondern beleidigt.
»Und?«
Berling zeigte ihr die Marke.
»Was soll'n das?«
»Steht doch drauf. Polizei.«
»Polizei? Bei mir?«
»Wir hätten gerne Ihren Mann gesprochen, Frau Faber.«
»Den Olli? Hat der was angestellt?«
»Nein, natürlich nicht. Es geht nur um eine Auskunft über einen Kollegen.«
»Klar doch, den Ludwig, dieses Dreckstück! Der ist doch das Letzte. – Aber Olli war schon bei der Polizei …«
»Trotzdem, Frau Faber.«
»Na, wenn's sein muß …«
Sie schloß auf, führte sie zum Haus, schob die Tür auf und ließ sie in einem schmalen Korridor warten. Aus einer der Türen, wohl der Tür, die zur Küche führte, kam Kindergeschrei. Sie schrie etwas dazwischen, und die Kinder wurden ruhig.
Dann war sie wieder da. Ihr Arm hob sich und deutete auf eine steile Treppe: »Oben«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Olli ist oben. Um zu quasseln, braucht er ja wohl nicht runter, ich meine, wäre im Moment nicht ganz das Richtige für ihn. Olli ist ziemlich zu … Und miese Laune hat er auch.«
Sie leistete sich ein Lächeln, und ihr Gesicht wirkte plötzlich überraschend fröhlich, ja hübsch. Jetzt konnte man sich vorstellen, wie sie mit vorgestrecktem Busen zur Gartentür hinausstöckelte, wenn Ausgang angesagt war. »Also bitte, meine Herren – Sie können ja doch nicht anders, dann marschieren Sie halt mal hoch.«
Und das taten sie.
Es gab drei Türen. War Faber besoffen, würde Klopfen auch nicht weiterhelfen, und so drückte Berling aufs Geratewohl die nächste Klinke und hatte Glück. Es war ein Mansardenzimmer mit zwei schrägen, ins Dach eingelassenen Fenstern. Vor dem rechten lief ein Fernseher und zeigte die Sportschau. Zwei mit grellen Häkeldecken geschmückte Uraltdenkmäler von Sesseln und eine verschlissene Couch machten die Einrichtung komplett, wenn man von der Sammlung im Wandregal absehen wollte – und die war interessant genug: spanische Fächer, arabische Wasserpfeifen, ein Landschaftsposter, unter dem ISMIR stand, und ein großer, weißer Volvo-Laster mit UN-Aufschrift vor der Brücke von Mostar. So ziemlich alles war hier vertreten.
Auf der Couch lag ein Mann und schnarchte; ein ziemliches Stück von Mann. Er lag auf dem Rücken, den Kopf schlaff zur Seite, den Bauch hochgewölbt, der linke Arm, ein Arm wie eine Schweinekeule und halb von blauen Tätowierungen bedeckt, war über die Kante gerutscht, so daß der abgeknickte Handrücken auf dem Boden ruhte.
»Herr Faber?«
Nichts – nichts als Schnarchen.
»Herr Faber!« – Berling konnte die Stimme verstärken wie er wollte, das Resultat blieb das gleiche.
Schiermann räusperte sich. Berling bückte sich, ergriff die Hand des Mannes, zog den Arm hoch und warf ihn ihm ziemlich heftig auf den Brustkorb.
Er grunzte und ließ die Augen weiter geschlossen, doch er sagte: »Scheiße …«
»Richtig, Herr Faber! Wir müssen Sie trotzdem sprechen.«
Nun waren seine Pupillen zu erkennen: zwei kleine, hellblaue Scheiben hinter ziemlich vielen Schleiern. – Sie schienen zu funktionieren.
»Bullen, wa?«
Dies war eine beachtliche Leistung, denn Berling hatte inzwischen die leeren Bierdosen neben dem Bett gezählt: Es waren sechs.
»Ja«, sagte Berling, »Bullen. Hilft aber nichts, Herr Faber. Wir müssen wirklich mit Ihnen reden.«
»Wegen Ludi,
Weitere Kostenlose Bücher