Die Gutachterin
warum ich eigentlich hier herausfahren sollte …«
»Und jetzt?«
»Jetzt weiß ich es. Und ich weiß noch was: Alles zu seiner Zeit …«
Sie drehte sich langsam um. Eine Haarsträhne fiel über ihre Stirn.
»So einfach geht das nun auch nicht.«
»Warum nicht?« hörte er sich flüstern.
Ihre Augen wurden schmal. Sie riß die rechte Hand hoch, und einen Augenblick sah es für ihn aus, als beabsichtige sie, ihn ins Gesicht zu schlagen – doch die Hand blieb in der Luft, fiel auf seinen Rücken, und dort fühlte er auch ihre andere, zweite Hand, und es war so, wie es immer war, genau so, wie er es sich gewünscht hatte: das Krallen der Finger, das andere, der weiche, warme Druck der Brüste, der Schenkel, des Unterleibs – und dann die Welle, die ihn hochhob.
»Ja, warum eigentlich nicht?« wiederholte sie an seinem Ohr.
Er dachte noch immer, doch es war Denken am Abgrund. Dieses: Zum Teufel, was tust du da eigentlich? Und: Warum tut sie es …? Will sie es …? Hat sie es gewollt …?
Alles letztlich ohne Bedeutung. Er hob sie hoch und trug sie zur Couch. Sie lag schlaff, wie leblos in seinen Armen. Die Augen waren geschlossen. Und das Haar, all das viele Haar löste sich …
Als es geschehen war, als er sich nackt und erleichtert neben ihr ausstreckte, war die Niederlage gegen Jürgen im Squashclub mehr als dutzendfach überwunden. Sein Blick fiel auf die Handvoll Seide dort am Boden. Er drehte sich zur Seite und betrachtete andächtig den ausgestreckten, jungen Körper neben sich, und dieser Anblick schien ihm schöner als alles, was er je gesehen hatte.
Er schloß die Augen …
Nicht lange – dann ein Knuff in die Rippen, ein heftiger Schlag an seine Wange. Er riß den Kopf hoch, sie kniete neben ihm; die Haare fielen ihr wie zuvor ins Gesicht, doch rechts öffneten sie sich zu einem Spalt, und aus ihm heraus funkelte ihn ein Auge an.
»Nicht einschlafen! Das läuft gegen die Regel. Außerdem: Wahrscheinlich willst du etwas essen, bevor du gehst … und die Anni muß abtragen. Und zweitens will ich mit dir sprechen.«
»Ach ja?«
»Erste Frage: Ist sie viel besser als ich?«
»Wie bitte?«
»Deine Freundin.«
»Ich versteh' dich nicht.« Ihm dämmerte etwas, doch es kam ihm zu verschroben, zu abwegig vor.
»Isabella«, sagte sie. »Eine gewisse Frau Dr. Isabella Reinhard. Psychiaterin mit Ausbildung in klinischer Psychologie …«
Er richtete sich auf. Das kam so ernüchternd wie ein Kübel Wasser. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die Hände dort unten schützend vor sich gehalten. Wo waren die verdammten Klamotten? – Er stand auf und zog sich an.
Als er die Gürtelschnalle schloß, sagte er: »In meinem Beruf ist man ja an allerhand gewöhnt. Aber anscheinend kann man mich immer noch überraschen.«
Das eine Auge funkelte ihn unentwegt an. Sie saß da, nackt, die Haare rieselten über ihre Schultern, die Beine hatte sie untergeschlagen, die Hände waren auf die Knie gestützt; schimmernd und unbeweglich saß sie da wie eine zarte Buddhastatue aus Elfenbein.
»Wie nur«, sagte er erbittert, »wie nur schaffst du es, in einer solchen Situation ein derartiges Thema zu bringen?«
»Wieso? Weil es mein Thema werden könnte, Richard. Und man muß sich ja vorbereiten, findest du nicht?«
* * *
Ohne Zweifel: Die Satellitenschüssel war ein Gottesgeschenk – und nicht nur die Satellitenschüssel, auch die Wäscheterrasse mit ihrer Mauerbrüstung. Er öffnete noch einmal den langen Aluminiumdeckel des Bohrmaschinenkoffers. Das Gewehr samt Zielfernrohr hatte er zusammengebaut. Es fehlte noch etwas …
Er holte einen stahldunklen, spannenlangen Zylinder heraus. Den Schalldämpfer hatte er sich in seinem Hobbykeller selbst gebaut und dann im Wald getestet. Klappte tadellos. Kein lauter Knall – nur ein gedämpftes ›Plopp‹.
Ja, alles hatte bisher geklappt, lief wie in 'nem Derrick-Film oder beim ›Fall für zwei‹, lief einfach wie geschmiert. Der Abdruck für den Nachschlüssel zur Feuertreppe war ganz einfach gewesen bei dem primitiven Schloß, und oben auf der Dachterrasse noch dieses Fundstück von Satellitenschüssel, hinter der er jetzt kniete.
Der Himmel war grauschwarz und tief. Vor der Dunkelheit zogen hellere, regenschwangere Wolken. Auch das war in Ordnung. So blieben die Leute zu Hause und kamen nicht etwa auf die Idee, an der Gefängnismauer entlangzulaufen. Aber hier oben würde ihn sowieso keiner entdecken.
Er kniete sich hinter dem Zementsockel nieder, der
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