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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die große Gemeinschaftsantenne trug. Seine Uhr zeigte sechzehn Uhr dreißig – das war genau die Zeit …
    Das Fenster lag da wie immer, es war das dritte an der Westecke des Baus. Er kannte es seit dem Tag, als er es auf einem Zeitungsfoto in der Neuen Welt entdeckte. HIER WARTET DAS MONSTER VON WÄCHTERSBACH AUF SEINEN PROZESS, hatte darunter gestanden.
    Na, auf den brauchte das Schwein nicht mehr zu warten.
    Er nahm das Gewehr hoch, und schon erschienen die Gitterstäbe im Rund des Okulars. Es waren fünf, in jeder Richtung. Er hatte sie gezählt. So deutlich erschienen sie, daß er die Schweißstellen zu erkennen glaubte. Unten rechts sah er einen ovalen, hellen Fleck, ein Blumenstock oder so was Ähnliches, vermutete er. Jedenfalls, immer um halb fünf war's soweit: dann erschien das Schwein am Fenster und fummelte an dem Ding herum. Vielleicht gab er ihm Wasser? Weiß der Teufel, was Ladowsky da einfiel.
    Er wartete. Sein Arm wurde schwer, die Schulter schmerzte. Komm, Scheißkerl, damit ich dir's besorge! Jetzt kriegst du's heimgezahlt, was du Evi angetan hast! Eine Kugel ist ja viel zu gut für dich, Scheißstück, verdammtes.
    Doch Ladowsky kam nicht.
    Er griff in die Tasche, zog ein Eukalyptusbonbon heraus und wickelte es aus – gerade als er damit fertig war, glaubte er hinter den Scheiben eine Bewegung erkannt zu haben.
    Das Gewehr! – Richtig, da war er … Da hast du ihn!
    Er sah die Schulter, den weißen Rand eines T-Shirts und darüber ein Gesichtsoval. Er visierte gründlich, so wie er es immer tat: Nasenwurzel, etwas tiefer vielleicht, auch wegen der Auflage, der Lauf kann beim Schuß nach oben rucken …
    Und durchziehen!
    Der Schuß war doch lauter als nur ein ›Plopp‹, aber zu mächtig war das Rauschen des Blutes, das vom Adrenalinstoß durch seine Adern gepeitscht wurde, als daß er ihn bewußt wahrgenommen hätte.
    Drüben, die Optik brachte es ganz genau, drüben war das Fenster zersprungen. Das Schwein hat's erwischt. Das Schwein war nicht mehr!
    Er warf noch einen letzten, vorsichtigen Blick über die Brüstung; unten näherten sich zwei Autos, sie fuhren langsam und gemütlich.
    Na also …! Er schraubte das Gewehr auseinander, verstaute es im Koffer und öffnete ohne jede Hast die Stahltür, die zum Hinterhof führte …
    * * *
    Die Intensivstation des Krankenhauses wurde von einer großen, metallgefaßten Glasscheibe von der Inneren Abteilung abgetrennt. Isa Reinhard sah sich um. Niemand zu sehen. Sie zögerte, aber dann schob sie doch die gläserne Schwingtür auf.
    Eine Schwester kam ihr entgegen.
    »Sie wissen doch, daß Sie nicht herein können. Das steht doch da vorne.«
    Isa zeigte ihre Visitenkarte: »Frau Ladowskys Zimmer ist leer. Und ihre Bettgenossin sagte, man hätte sie hier heraufgebracht. Eigentlich wollte ich nur mit dem behandelnden Arzt sprechen.«
    »Sind Sie eine Verwandte?«
    »Nein, ihre Therapeutin«, log sie.
    »Aber mit Dr. Schöpper können Sie trotzdem nicht reden. Der ist nämlich nicht da …«
    »Warum liegt sie auf der Intensivstation? Ist es so gefährlich?«
    »Gefährlich, gefährlich … Gestern hatte sie Komplikationen mit den Nieren. Das ist ja häufig bei Verbrennungsfällen so. Jedenfalls, wir haben sie hier raufgebracht, um sie besser kontrollieren zu können. Aber sonst ist sie bereits wieder ziemlich stabil.«
    »Kann ich mit ihr reden?«
    Die Schwester schüttelte energisch den Kopf: »Reden? Um Himmels willen … Wenn Sie sie sehen wollen, das ja. Sie können das vom Beobachtungsgang aus. Sie sind ja schließlich Ärztin. Dort lassen wir manchmal auch die nächsten Angehörigen rein.«
    »Das wäre sehr freundlich von Ihnen. Aber warum sagen Sie ›um Himmels willen‹? Wann wird sie reden können?«
    »Reden, reden.« Die Schwester sah müde aus. Sie mochte an die fünfzig sein, hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen, und das Gesicht war von Falten gezeichnet. »Seit sie hier eingeliefert wurde, sagt sie sowieso kaum was. Und was sie sagt, ist meist wirres Zeug. Und dann hat sie Ausbrüche. Ihr seelischer Zustand ist schlimmer als die Verletzungen, glauben Sie mir. Wir müssen sie ständig unter irgendwelchen Sedativa halten. – Wollen Sie sie jetzt sehen oder nicht?«
    Isabella nickte.
    Der Beobachtungsgang war schmal, die rechte Seite bestand aus Glas und führte zu den Behandlungskabinen der Intensivstation. Bei den meisten waren die Vorhänge zugezogen – ein halbes Dutzend der Glasscheiben blieb frei.
    Die Schwester blieb

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