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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blieb sitzen. »Und wohin?«
    Genau das war die Frage, und er sah Jürgen an, daß er die Antwort kannte, daß er genau wußte, was jetzt in ihm ablief. Nach Hause, zu den Blümchentapeten? Nach Hause zur Geschirrvitrine der Tante, dem Mottenpulvergeruch, diesem verdammten, wackligen Empiretisch …? Ja, Jürgen wußte das alles. Trotzdem mußte er es durchstehen, das war ganz klar.
    Jürgen hatte gezahlt und lief ihm hinterher.
    »Was hältst du davon? Irgendwie brauchst du ja 'n Ventil … Machen wir noch 'ne kleine Runde?« Er grinste. »Squash ist auch nicht das richtige für deinen Überdruck. Ich weiß was anderes …«
    Saynfeldt konnte sich vorstellen, was Jürgen meinte. Er war Junggeselle. Und da kam es auch schon: »Ich wüßte einen hübschen kleinen Club, total diskret und nette Mädchen.«
    »Laß mal …«
    Er schlug Jürgen auf die Schulter, schüttelte den Kopf, fuhr seinen Wagen aus der Tiefgarage und ließ den Porsche durchs Bahnhofsviertel rollen: Neonreklamen, meist rosafarben – ›Chéri‹ schrieben sie in die naßschmutzige Luft, die über der Stadt lag, ›Marbella‹, ›Dallas‹. Er sah blutjunge Mädchen in schenkelhohen, hochhackigen Stiefeln und Minis, andere in Lackmäntelchen, die sie öffneten, als der Porsche an ihnen vorüberglitt. Nein: Das Squash hatte es nicht gebracht. Und das hier? – Wann hast du das letztemal eine Frau gehabt …? Richard Saynfeldt dachte es mit einer Aufwallung verzweifelter Empörung: Die Nacht mit Isa im Tessin … Wie lange ist das her …? Und dann? Briefe von Jens, dem Pfeffersack von Schwiegervater …
    Hatte der 'ne Ahnung! – Er stieg auf die Bremse. Eine der Nutten entblödete sich nicht, vor der Nase des Porsches herumzutanzen und ihm die Zunge herauszustecken. Bestimmt stand sie unter Drogen, war besoffen, beinahe hätte er sie auch noch umgerammt. Er riß den Wagen nach links.
    »Wichser!« hörte er hinter sich. »Arschloch!«
    Er hatte die Gallusstraße erreicht und hielt an. Trotz der Dusche fühlte er sich, als trüge er eine heiße, schwere Last. Er tastete im Handschuhfach nach dem Zigarettenpäckchen, zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen.
    Isa – dachte er.
    Und: In drei Wochen beginnt der Prozeß …
    Zögernd fuhr er den Wagen näher an die Bordsteinkante. Hier gab's keine Huren, hier gab's Calvin Klein, gab's Armani, gab's Gold und Kaschmir in den Auslagen. Er suchte nach dem verdammten Zettel. Der Gedanke hatte sich eingeschlichen wie ein geschickter Einbrecher, unversehens und durch einen ganz schmalen Spalt. Es war nur eine Visitenkarte, und sie steckte in einem Umschlag, den er heute morgen im Briefkasten gefunden hatte, auch das nur zufällig, denn eigentlich holte er sich die Post nur abends, wenn überhaupt. Der Umschlag war an seine alte Adresse in Oberursel gerichtet. Die Post hatte ihn weitergeleitet. Und nun – da hatte er ihn wieder. Er steckte im Handschuhfach.
    Das Mädchen in den Jeans. Das Mädchen mit den Haaren bis zum Gürtel. Das Mädchen, das so begeistert dreinschauen konnte … Er schaltete die Leselampe ein. Was stand da in kleiner Schrift und doch so zügig und energisch auf Karton geworfen: »Lieber R.S. falls es Ihnen irgendwie möglich wäre, würde ich mich sehr gerne mit Ihnen treffen. Ich habe da eine Info, die auch für Sie interessant sein könnte.«
    Lieber R.S.? Und dann auch noch: Ich habe da eine Info …
    Irgend etwas klopfte aufs Dach. Er drehte den Kopf. Ein Gesicht erschien am Fenster, das Gesicht einer Frau unter einer Politessenmütze.
    »Wissen Sie eigentlich, daß Sie direkt unterm Halteverbot stehen?«
    Er ließ die Scheibe ganz heruntergleiten: »Oh, da bitte ich tausendmal um Verzeihung. Ich wollte eine Telefonnummer lesen. Bin schon wieder weg.«
    Er hatte sie gelesen, die Telefonnummer, und während der Wagen noch langsam und gemächlich die Taunusstraße entlangrollte, tippte Richard Saynfeldt bereits auf die Tasten seines Telefons. Ganz so, als wäre sein Anruf erwartet worden, wurde der Hörer abgenommen.
    »Anja Weiersbach.«
    Da war sie also. Und da war vor allem eine so helle, verwirrend fröhliche, lockere Erwartung in ihrer Stimme, daß er beinahe die Verbindung wieder unterbrochen hätte.
    »Hallo?«
    Er räusperte sich. »Saynfeldt«, sagte er.
    »Nein! Ist ja prima! Auch wenn's blöd klingt, eigentlich hab' ich damit gerechnet, daß Sie anrufen. Den ganzen Tag hab' ich das. Wo stecken Sie denn?«
    »Im Auto«, sagte er. »Auf der

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