Die Gutachterin
stehen und hob die Hand.
Isabella sah hinein. Hilde Ladowskys ganzer Kopf steckte unter einer Art Verbandshelm. Die Augen waren geschlossen, der Mund war dick verschwollen wie die Lider. Ein Absauggerät hing im rechten Mundwinkel. Die Kabel verborgener Sonden führten zu den Überwachungsgeräten an der Wand.
Fragend sah die Schwester sie an.
»Danke«, sagte Isa.
Sie fuhr wieder hinunter ins Erdgeschoß, um zu ihrem Wagen zu gehen.
Als sie den Haupteingang verließ, um den Vorplatz zu überqueren, stockte ihr Schritt. Den Info-Stand hatte sie vorhin bereits gesehen, doch nicht beachtet. Nun las sie, was da auf einem großen, breiten Spruchband stand: DAS MUSS EIN ENDE HABEN. Sie trat zögernd näher und konnte nun auch die beiden Gesichter auf den Zeitungsplakaten erkennen, die an den Streben, die das kleine Dach trugen, angebracht waren. Rechts, das war das Opfer, das Foto, das sie selbst so beeindruckt hatte: Evi Fellgrub, die unschuldig und fragend den Beschauer anblickte.
Und gegenüber: eine Aufnahme des Kreuz-Mörders.
Am Tisch saß ein junger Mann. Er rauchte gelangweilt eine Zigarette. Vor ihm türmten sich Broschüren.
»Das Strafrecht zu ändern reicht nicht«, las sie, »die Herzen und Köpfe müssen sich verändern!« – Das war ja so richtig, und daß der junge Mann sich hier hinsetzte, um Menschen aufzuklären, zeigte ein beachtliches Stück von Idealismus. Doch ob es der richtige Weg war?
Sie fühlte Bitterkeit. Dort oben lag die Frau mit dem verbrannten Gesicht, die nur ›Unsinn‹ murmelte, die Mutter des Kreuz-Mörders …
Immerhin, sie hatten ja recht: Es mußte ein Ende haben!
* * *
Reuter wartete, wie er ihr durchs Handy gesagt hatte, an der Ausfahrt des Hertie-Parkhauses. Ein Parkwächter fuchtelte vor ihm herum. Der Professor betrachtete ihn mit gemäßigtem Interesse, so wie man ein zwar ungefährliches, aber doch ziemlich lästiges Tier betrachtet.
Irgendwie konnte sie den Parkwächter verstehen. Jeder, der die Ausfahrt passierte, mußte es mit Vorsicht tun, denn es war ja nicht irgendein Mercedes, der den Weg halb versperrte und an dem der Professor lehnte – es handelte sich um einen schwarz- und chromfunkelnden Mercedes-Oldtimer maximalen Kalibers, der den Eindruck erweckte, als sei bereits Konrad Adenauer darin herumkutschiert worden.
»Na endlich!« sagte er erleichtert, als sie zu ihm einstieg.
Der Mann im gelben Overall neben ihnen brüllte irgend etwas.
»Danke«, sagte Professor Reuter und winkte ihm huldvoll zu.
Er steuerte den Wagen über die Konstabler Wache zur Friedberger Landstraße, reichlich zerstreut und nicht allzu sehr auf Ampeln fixiert, doch er kam, wie eine Art Luxusdampfer im Strom mitschwimmend, ganz gut voran.
»Warum fahren Sie eigentlich so langsam? Außerdem: Wir haben doch abgemacht, daß es nach Preungesheim geht, nicht wahr? Gerade sind wir daran vorbeigefahren.«
»So? Ich bin ein bißchen in Gedanken …«
»Erzählen Sie mir endlich, was es Neues gibt.«
»Gleich. Zuerst sind Sie dran. – Haben Sie etwas im Krankenhaus erfahren?«
»Sie liegt auf der Intensivstation.«
»Auch noch. Die Mutter auf der Intensivstation, der Sohn … Na schön, ich hab' auch 'ne Nachricht für Sie …«
Isa sah ihn an. »Irgend etwas passiert?«
Sie hielten nun doch vor einer roten Ampel, und er blickte stur geradeaus.
»Auf Ladowsky ist geschossen worden.«
Sie fuhr herum: »Wie bitte? Was?«
»Auf Ladowsky ist geschossen worden. Ein Attentat.«
»Im Gefängnis?«
»Wo sonst? Aber der Schuß fiel von der Dachterrasse des gegenüberstehenden Hauses.«
»Und? Ist er …«
»Nein. Er hatte riesigen Dusel. Die Kugel ging haarscharf an seiner Schläfe vorbei, rasierte ihm ein paar Haare und ein Stückchen Haut weg und blieb in der Wand stecken. Das muß man sich vorstellen. Zuerst die Mutter – dann er.«
»Und hat man eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«
»Nicht die Bohne. Die Polizei ist am Ermitteln. Der Richter hat mich sofort angerufen. Irgendwelche Angehörigen gibt's ja nicht mehr. Bisher haben sie nichts gefunden.«
Sie versuchte es zu verarbeiten. Es gelang ihr nicht.
Der schwere, chromschimmernde Bug des Mercedes nahm Richtung zum Nordend. Sie schwammen auf der grünen Welle, er hatte die Augen halb geschlossen und beklopfte das Edelholz des Steuerrads.
»Was ich nicht begreife: Wie kann einer auf die Idee kommen, so was zu tun? Ladowsky steht doch sowieso vor einer lebenslangen Verurteilung.«
»Und weiß
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