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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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– Ladowsky weigerte sich, mit ihr zu reden.
    Sie klappte ihr Schreibheft zu. Der Block und die Zeitungsfotos kamen wieder in die Arbeitsmappe, dann nahm sie den Stapel Unterlagen, den sie für das Gutachten brauchte, und rückte ihn zurecht … Doch etwas hinderte sie daran, zu beginnen. Sie ließ den Bleistift ruhen. Seit sie mit dieser verdammten Arbeit angefangen hatte, wurde sie das Gefühl nicht los, Ladowsky begleite sie, untrennbar, durch nichts zu verscheuchen, so wie ein Schatten. Sie mußte den Kopf klar bekommen – und doch: Wieder hörte sie seine Stimme, vernahm dieses hoffnungslose, nein, uferlose Weinen, das wie ein nicht zu bändigender Strom seinen Selbstbehauptungswillen mit sich forttrug. Es war kein lautes Weinen, keine Anklage darin, doch es war von elementarer Gewalt.
    Armer Teufel, dachte sie, ja, das ist Ludwig, ein verlorener, im Wirbel seiner Wahnbilder untergehender Mensch. Doch konnte man Wahnbilder Schicksal nennen? Das würde die entscheidende Frage sein. Oder waren sie ihm aufgezwungen? Aber es ist doch stets das gleiche, wir alle werden im Lauf des Lebens in irgendeine Form gepreßt, und jeder, vielleicht die meisten, werden von dieser Form erstickt, einem falschen Selbst, an das wir uns gewöhnen, ohne uns je wirklich erfahren zu können.
    Dies war das eine.
    Und das andere?
    »Dem Bösen«, hatte Ernst Hauschild ihr einmal gesagt, »dem Bösen können wir uns mit dem Verstand nicht nähern. Es ist so unergründlich wie Gott selbst. Vielleicht noch unergründlicher. Den Abgrund des Bösen lotet niemand aus, weil kein Licht sein Dunkel durchbricht, auch der Verstand hilft nicht weiter, weil das Böse keine Ordnung kennt, sondern die Negation jeder Ordnung darstellt.«
    Das Böse. Wenn es in Ludwig Ladowsky steckte, war es dann deshalb nicht zu greifen, weil niemand es zu begreifen vermochte?
    Sie überlegte lange, dann nahm sie doch den Bleistift und schrieb die ersten Sätze des Gutachtens nieder. Sie kamen leicht und schnell, leichter, als sie erwartet hatte.
    * * *
    »Tanz auf dem Vulkan, Pirouette auf dem Eisberg!« – Peter Aman verzog den Mund, doch diesmal lag nicht die übliche freundschaftliche Ironie auf seinen Lippen, sondern ein grimmiges, fast verzweifeltes Staunen: »Mein Gott, Isa! Was soll das alles? Ehrlich, langsam mache ich mir große Sorgen.«
    Nur auf einen Sprung war sie in die Praxis gekommen, um einige Papiere für die Kassenabrechnung abzuholen; das eigene Studio hatte sie in den letzten Tagen kaum mehr betreten, sie kam in die Praxis nur dann, wenn einer der Klienten sie dringend brauchte. Es gab lediglich das Ladowsky-Gutachten – und das schlechte Gewissen gegenüber ihrer Arbeit, das sie begleitete wie ein Schatten.
    Und nun Peter.
    »Was hast du bloß mit mir?«
    »Das fragst du? Fragst du das im Ernst? Morgen geht's doch los.«
    Ja, morgen um zehn begann der Prozeß.
    Er sah sie weiter an, schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand: »Komm!«
    »Wohin?«
    »Auf 'nen Kaffee beim Italiener.«
    Sie verließen das Haus und kreuzten die Straße, doch plötzlich bog er nach rechts ab, zu einem der Zeitungsautomaten. Kurier stand auf dem weißen Kasten. Er warf Münzen hinein und fischte sich ein Exemplar heraus.
    Der Tag war licht, hell und warm. Autos zogen so gemächlich vorüber, als wollten auch sie die Sonne genießen. Nur einige Meter entfernt standen zwei gelbe Telefonzellen, und im Schatten eines Kastanienbaums wartete eine grüngestrichene Fußgängerbank.
    Peter steuerte sie an und setzte sich.
    »Und? Du wolltest doch 'nen Kaffee?«
    »Auch«, sagte er. »Obwohl, Koffein ist in dieser Situation wohl nicht das angezeigte Mittel.«
    Er blätterte in der Zeitung: »Mist – wo steht das noch? Mein Wagen ist nämlich in der Werkstatt, und so habe ich heute den Bus genommen, und da saß einer und las den Kurier. – Und ich las mit … Hier!«
    Er schob ihr die aufgeschlagene Zeitung zu.
    Es war die Seite vier, und die ganze Seite nahm ein Vorbericht über den Ladowsky-Prozeß ein, doch von Ladowsky war nicht die Rede, sondern von den ›umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen, die angesichts des geradezu explosiven Interesses der Öffentlichkeit und der daraus resultierenden Gefahren‹ von den Verantwortlichen der Justizbehörden angeordnet worden waren.
    Isabella saß ganz ruhig und versuchte, sich den Schock nicht anmerken zu lassen.
    Es war nicht der Text, es waren die Bilder.
    Das größte, das die Mitte des Artikels einnahm, zeigte zwar nur

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