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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den, der manchmal mit mir sprach …«
    »Wen?«
    »Das war nur so eine Stimme. Ich nannte ihn Nemo .«
    »Wo hast du den Namen her?«
    »Was?«
    »Nemo heißt ›niemand‹.«
    »Na und? – Der verstand mich. Der hatte den Durchblick, der sagte mir, wo es langging. Der sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen, ich sei größer, mächtiger, wichtiger als das ganze Gewusel dort unten. – Und dann sagte er: ›Du kannst dir die nehmen, die du willst!‹«
    »Nehmen? – Und die …? Eine Frau also oder ein Mädchen, Ludwig? Warum?«
    »Weil … weil er's so wollte …«
    »Aber dieses ›nehmen‹ – das war Mord.«
    Sie hatte keine Anmerkung zu seiner Reaktion gemacht, doch sie erinnerte sich genau: Er hatte nur dagesessen und sie angestarrt.
    »Und warum das Kreuz nachher?«
    »Das … das hat mit meiner Mutter zu tun. Sie sagte immer: Gott hat die Frauen verstoßen … Und ich, na gut, ich legte das Kreuz darauf, ich wollte sie erlösen, gewissermaßen …«
    »So – gewissermaßen.« NEHM DIR DIE DA … »Du bist also mächtiger als alle. Hat er sie dir gezeigt?«
    »Das brauchte er doch nicht.«
    »Was meinst du damit?«
    »Was meinst du damit, was meinst du damit …! Ich sah sie doch selbst. Ich wußte es sofort.«
    Ich sah sie – ich wußte es?
    »Und?«
    »Schwierigkeiten mit Worten, heftiges, beinahe konvulsivisches Verhalten«, meldeten ihre Anmerkungen …
    »Also was, Ludwig? Du sahst sie, du wußtest es.«
    »Ja.«
    »Und dann?«
    »Und dann … dann … dann passierte das einfach, ja – mir.«
    »Was passierte?«
    »Das war so wie ein Rauschen, das war überall in mir, ein Rauschen oder eine Art Donnern, und doch nicht so laut, da war alles heiß in mir, das war … das kann man gar nicht beschreiben, das passierte einfach, das, das … das war wie eine Explosion …«
    »Aber eines konntest du: Du hast ganz freundlich mit ihnen gesprochen. Sonst wären sie ja nicht mit dir gekommen.«
    »Ja«, sagte er und nickte. »Reden konnte ich. Das ist schon wahr, das konnte ich …«
    »Und wie passierte es? Es passierte doch auch die schreckliche Sache mit dem Stock. Was ist damit? Den Stock, den du ihnen zuvor in den Leib gestoßen hast?«
    »Weil sie es so wollten. Sie wollten immer das …«
    In ihren Aufzeichnungen stand hinter dem Satz die Anmerkung: »Brüllt, steigert sich in einen Zusammenbruch hinein …« Und sie sah die Szene wieder vor sich und hatte Mühe, sie nicht zu verdrängen.
    »Sie glauben das nicht? Das ist so … Ich wollte doch nicht selbst da hinein … Das ist Sünde, hat meine Mutter gesagt, weiß der Teufel, was das ist … Die hat es ja immer nur damit. Schon deshalb mach' ich's lieber mit mir. Ich brauch' das nicht. – Die brauchen es …«
    Sie hatte es ihm nicht durchgehen lassen. Das nicht! Sie hatte ihn an die Fotos erinnert, ihm die Qual heraufbeschworen, die Evi Fellgrub hatte erleiden müssen, bevor sie gestorben war.
    Und das war das Ende des Gesprächs …
    Sie schlug eine neue Seite auf: der 19. August. Das war der Tag danach.
    »Gesprächsbeginn äußerst schwierig«, stand unter ihren Anmerkungen. Und: »Von extremen Kommunikationsschwierigkeiten begleitete, stockende Rede.«
    Und nun:
    »Sie müssen vergessen, was ich gestern gesagt habe, ja, die Sache mit dem Stock … Und daß ich bei mir selbst …«
    »Ich kann das nicht vergessen, Ludwig. Im Gegenteil: Ich muß mit dir darüber reden.«
    »Sie …? Sie müssen gar nichts.«
    »O doch. Wir werden das klären. Wir müssen die Gründe finden. Ich will dir helfen.«
    »Müssen? – Warum müssen?«
    »Darum geht es jetzt nicht. Ich will dich jetzt etwas anderes fragen: Warum eigentlich haßt du deinen Körper so?«
    »Ich …? Meinen Körper hassen?«
    »O ja, das tust du.«
    Und wieder eine Anmerkung: »Brüllt, brüllt gute zwei Minuten lang und so laut, daß ein Beamter hereinkommt. Es gelingt mir, beide zu beruhigen – den Beamten wie Ludwig. Er weint nur noch. – Als wir wieder allein sind«:
    »Mein Körper, es ist wahr, wenn ich ihn ansehe … ich hasse ihn … Und das ist die Schuld meiner Mutter, die mit ihrem Mädchenzeug … Ich kann's ihr nicht übelnehmen, dazu mag ich sie zu sehr, aber es ist nur ihre Schuld. Wenn ich im Bett lag, hat sie mich immer am Bauch gepackt oder an meinem Pummelchen und gesagt: ›Da ist die Sünde! Da sitzt der Teufel …!‹«
    Es war die letzte Sitzung gewesen. Sie hatte vor drei Tagen am Nachmittag stattgefunden. Bis jetzt gab es keine Fortsetzung des Gesprächs

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