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Die Gutachterin

Die Gutachterin

Titel: Die Gutachterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keiner für dich da! – Dabei hab' ich doch geholfen, wo ich überhaupt helfen konnte, hab' mich immer angestrengt, daß sie zufrieden sind, hab' sie hin und her chauffiert, immer war ich der erste, zu dem sie gelaufen kamen, habe mit am Haus gebaut, in der Nachbarschaft, hab' den alten Leuten das Essen in die Wohnung gebracht … Die waren noch nett … auch wenn die anderen gemein waren. – Ich hab' trotzdem weiter geholfen.«
    Es folgte eine ganze Litanei von Namen und Hilfsaktionen, und sie fragte sich, wieso er sich so genau erinnerte, wenn er doch in anderen Punkten ein ausgesprochen schwaches Gedächtnis bewies. Es war, als erwarte er für seine Leistungen einen Orden, der ihm nie verliehen wurde. Und der Orden trug den Namen Anerkennung. Ernstgenommen wollte er werden, oder auch nur Sympathie erfahren … Und da stand nun der Satz, der sie zunächst stutzen ließ, ja beinahe erschreckte, und der sich dann doch wieder in nichts auflöste:
    »Mir war's egal. Ich hab' geholfen, weil's ja so viel zu helfen gibt und mir so schrecklich viel leid tut. Besonders die kleinen Kinder tun mir leid.«
    »Die kleinen Kinder?«
    »Ja. Wie die behandelt werden«, hatte er gesagt. Und der Blick, den er ihr zuwarf, war vollkommen unbefangen. »Und dann die Tiere natürlich, die sind doch am schlimmsten dran … Ich hatte mal 'nen Hund, das heißt, ich hatte keinen, meine Mutter erlaubte das ja nicht, das war der Hund vom Nachbarn, so ein kleiner Waldi , und der kam immer zu mir rüber, und wir spielten miteinander, der kroch sogar zu mir ins Bett, das durfte die Alte natürlich nicht merken, mein Gott. Wenn meine Mutter das erfahren hätte – und da lagen wir zusammen in den Kissen und haben uns so gut verstanden, ich hab' mit ihm gesprochen, ich hab' ihm alles erzählt …«
    »Was?«
    Wieder derselbe Blick. »Alles, was mich bedrückte, was denn sonst? Und nun können Sie lachen oder nicht, er verstand mich. Das war ein richtiges Gespräch. Er war so lieb … Und dann, dann hat ihn einer vergiftet …«
    Zwei Tage später:
    »Ich wollte immer weg. Von allem. Das war so, solange ich überhaupt denken kann. Meinen Vater, gut, den hab' ich überhaupt nicht gekannt, doch dann kam der, den meine Mutter geheiratet hat, dann wurde es ganz schlimm …«
    »Dein Stiefvater?«
    »Für mich war das nur ›der Mann‹. Am Anfang sprach er noch mit mir, da versuchte er auch, mir bei den Schulaufgaben zu helfen … Der war unheimlich streng, aber gut, er redete … Aber das tat er bald nicht mehr. Erst gab's Krach wegen des ganzen bescheuerten Theaters, das meine Mutter mit mir machte – und dann sah er mich nur noch an, als sei ich irgendein komisches, ekliges Tier, eine Kröte oder so was … Ja, und dann war er weg …«
    Pause.
    »Weg, das wollte ich auch. Und nicht nur wegen des ganzen verrückten Zeugs meiner Mama …«
    »Wie alt warst du damals?«
    »So zehn oder zwölf. – Wohin sollte ich denn? Ich hatte doch gar kein Geld … Und so blieb ich. Und mußte das alles einstecken, was meine Mutter da abzog, ihr ewiges: ›Du bist meine süße, kleine Ludi … Meine kleine Ludi ‹, sagte sie. Und: ›Du wirst anders sein als alle anderen Frauen, nicht so gemein, nicht so verhurt …‹«
    »Sie hat dich als Mädchen angeredet?«
    »Ja, wenn sie's überkam. – Wahnsinn war das doch. Und ich konnte es ihr noch nicht mal sagen, denn dann heulte sie los. Aber ich wollte weg. Irgendwohin, wo es schön ist, wo es Pflanzen gibt und Wald oder noch einen Bach … Ich nahm mein Fahrrad und fuhr los. Dann setzte ich mich neben so einen Baum und war froh. Manchmal sah ich auch einen Hasen oder einen Vogel … Und dann …«
    Er hatte den Satz nicht zu Ende geführt. Unter der Rubrik ›Gesprächsverlauf‹ am Rand des Stenogramms stand: »Zeigt ziemlich heftige emotionelle Erschütterung, zerbricht einen Bleistift, weint stumm vor sich hin und ist für Minuten nicht ansprechbar …«
    Gerade dieses Gespräch jedoch nahm eine sehr wichtige, höchst interessante Wende:
    »Wenn ich dann von so einem Ausflug zurückkam, dann hab' ich einfach alles nicht mehr ertragen, aber … aber ich hatte meinen Trick. – Das ging so einfach wie Finger schnipsen oder auf einen Knopf drücken. Ja, ich drückte das Knöpfchen, und alles war fort. – Sehen Sie mich nur an, so war das: Es gab nichts mehr, nur mich. Niemand konnte mir was … Ich schwebte über allem, unserem Hausdach, über den Dächern, ich schwebte über der Welt – nur mich gab's und

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