Die Gutachterin
den Eingang des Schwurgerichts und ein paar Beamte, die damit beschäftigt waren, Publikumsbarrieren aufzubauen, darunter aber zog sich eine Reihe von Fotos. Sie erkannte den Vorsitzenden der großen Strafkammer, den Landgerichtsdirektor Dr. Heinrich Martin, gleich daneben Richard Saynfeldt in der Toga des Anklägers, dann ein weiterer Mann, Professor Reuter, der Verteidiger, und schließlich ein letztes Bild …
Ihr Magen zog sich zusammen.
Herrgott noch mal … Was sollte das? Vor allem: Wie kamen sie zu dieser Fotografie? Wer hatte sie ihnen besorgt?
Es war das Foto eines Paares im Badeanzug.
Der Mann lag ausgestreckt in der Sonne, die Beine wohlig gespreizt, während sich eine mit einem Bikini nur äußerst knapp bekleidete Frau über ihn beugte, die linke Hand auf seiner Brust abstützte und ihn auf die Stirn küßte.
Die Frau im Bikini war sie selbst – der Mann Richard …
Und die Berge dort am Rand des großen Sees, das waren die Berge, die sich über dem Lago Maggiore erhoben.
Isabella war zu keinem Gedanken fähig. In dieser Sekunde gab es nur ein Gefühl in ihr: blinde Verblüffung. Dann wuchs der Zorn.
Wie kam die Aufnahme in die Zeitung? Sie kannte sie, o ja, sie erinnerte sich: Tina Rossi hatte sie ihr zugeschickt, vor drei Jahren, dachte sie, damals an Weihnachten, nach dem ersten verliebten Sommer in Ascona, und nicht nur das Foto hatte sie geschickt, auch einen langen Brief, und in dem Päckchen befand sich sogar noch eine kleine Flasche hausgebrannten Grappas – doch wie konnte der Kurier …? Soviel steht fest, dachte sie: Bei dieser Aufnahme handelt es sich nicht um diese Fotografie, es ist nicht möglich, denn sie existiert nicht mehr …
Das wußte sie. Sie erinnerte sich haargenau: Das Bild war an jenem Tag dabeigewesen, als sie in einer Mischung aus verletztem Stolz, aber auch befreiendem Zorn all die Dinge, die irgendwie, und sei es in einer noch so entfernten Weise, mit Richard Saynfeldt zusammenhingen, in den Müll geworfen hatte. Und wann war das? Vor drei Wochen … Richtig. Und du bist damals gründlich vorgegangen: Die Bücher, die paar Geschenke, selbst die alten Opernkarten, die du aus Sentimentalität noch aufbewahrt hattest, kamen in den Plastiksack. Ebenfalls zwei seiner Krawatten, die aus irgendeinem Grund noch im Schrank herumhingen. Und selbst der silberne Drehbleistift, was dir wirklich schwerfiel. Denn an ihm hing nun wirklich dein Herz – er war so hübsch …
Das Foto aber machte den Anfang. Sie hatte es nicht nur weggeworfen, sie hatte es sogar zuvor noch zerrissen und als Schnipsel in den Müll gestreut.
Sie las den Text.
Er war noch schlimmer als das Foto.
»Trotz der Gefühle von Zorn und Trauer, die in der Frankfurter Bevölkerung diesen Prozeß begleiten, der von vielen als der ›Prozeß des Jahres‹ betrachtet wird, wäre noch eine pikante Note anzumerken: Wie der Kurier erfahren konnte, bestand zwischen dem Vertreter der Anklage und der Gutachterin der Verteidigung seit Jahren eine intime Beziehung, was dazu geführt hat, daß die Frau des Oberstaatsanwalts Richard Saynfeldt mit ihren Kindern das gemeinsame Heim in Oberursel verließ und die Scheidung eingereicht hat.«
Intime Beziehung …? Scheidung eingereicht …!
»Na, was hältst du davon?«
Peter Aman.
Sie hatte beinahe vergessen, daß er neben ihr saß. Es war zu unglaublich, es war verrückt, und, zum Teufel, was hatte das mit dem Prozeß zu tun? Es war eine Schweinerei.
Doch woher stammte das Bild? – Es gab nur eine Antwort: Tina mußte damals, an Weihnachten vor drei Jahren, eine zweite, identische Fotografie auch Richard zugeschickt haben.
»Das ist eine Schweinerei«, hörte sie sich sagen.
»Das ist die Presse«, sagte Aman. »Nichts weiter … Wie nennt man einen Menschen wie dich so schön? Eine Person des öffentlichen Interesses.«
Er packte ihre Schulter und zwang sie, ihn anzusehen: »Herrgott, Isa, sag mir nur eines: Warum warst du so scharf darauf, dich da reinreiten zu lassen? Himmelarsch, wieso bist du damals nicht nach Kuba geflogen?«
Kuba – dachte sie und fühlte sich mit einemmal sehr elend: Kuba …
Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt Dinge, die müssen sein. Und oft sind das die Dinge, die man nicht begreift, wenn sie passieren, und bei denen man sich erst später darüber klar wird, wie wichtig sie gewesen sind.«
»Ach ja? – Wichtig ist, daß du dich von diesen Presse-Heinis in der Luft zerreißen läßt? Und daß sie dich morgen in diesem verdammten
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