Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)
Lebenden auf Gottes schöner Erde zu wandeln, zu widerspiegeln schien, so daß die Erinnerung an Paris, in dem ich gegen Ende jener Augusttage so unheilvolle Ereignisse erleben sollte, untrennbar verbunden ist mit dem Bilde dieser anmutigen Jungfer, welche sich trotz der drückenden Last auf den Schultern, trotz der vom langen Weg ermüdeten Füße auf so liebenswürdige Weise dienstbar zeigte und mir ihr Lächeln schenkte.
Monsieur de Nançay wohnte in der Rue des Sablons, und obgleich es noch zu früh war, ihn zu besuchen, fragte ich einen Guillaume oder Gautier, welcher die Straße entlangkam, nach dem Wege, damit ich mich nach dem Besuch in Notre-Dame ungesäumt dorthin verfügen könne. Der Mann, welcher mir seinen Kleidern und seinem Äußeren nach ein Ladendiener zu sein deuchte und eine hochnäsige, einfältige Miene zur Schau trug, sperrte nach gestellter Frage Maul und Nase auf, betrachtete mich – obwohl ich zu Pferde und er zu Fuße war – von unten höchst herablassend und sprach fast empört:
»Was, Monsieur! Ihr kennt nicht die Rue des Sablons?«
»Ich würde wohl nicht danach fragen, so ich sie kennte!«
»Aber Monsieur, wer kennt die Rue des Sablons nicht!«
»Ich, der ich aus dem Périgord komme.«
»Périgord«, sprach der Gautier, noch immer recht hochnäsig, »ich habe nie etwas von diesem Staat gehört.«
»Es ist auch kein Staat, sondern eine Provinz des Königreiches.«
»Eine Provinz, Monsieur«, rief der unverschämte Gautiermit einem Ausdruck allerhöchster Verachtung auf dem Gesicht, »Ihr lebt in der Provinz? Heiliger Himmel, wie lebt es sich denn dort?«
»Besser als in Paris.«
»Hoho, Monsieur! Das ist nicht möglich! Nur ein Esel kann Gefallen daran finden, auf dem platten Lande zu grasen.«
»Moussu!« sprach Miroul auf okzitanisch zu mir, »soll ich diesem ungehobelten Kerl eine Presche versetzen?«
»Was höre ich?« schrie der Guillaume. »Was für ein Kauderwelsch schwätzt der da? Und was heißt das?«
»Daß er dir eine Presche geben wird für deine unverschämte Rede«, sprach ich mit finsterem Blick.
»Oh, Monsieur! ich wollte Euch nicht beleidigen!« rief der Bursche kleinlaut und fügte hastig hinzu: »Am Großen Châtelet reitet linker Hand den Heukai entlang bis zur Notre-Dame-Brücke, überqueret diese und reitet geradeaus weiter bis zum anderen Flußarm. Dort findet Ihr die Rue des Sablons zu Eurer Linken. Ihr könnt nicht fehlgehen. Der Weg führt am Spital und an Notre-Dame vorbei.«
»Danke, Dörfler«, sprach ich.
»Was!« rief er gekränkt, »Ihr nennt mich einen Dörfler?«
»Weil«, so entgegnete ich, »du niemals aus deinem Dorf herausgekommen bist und, so groß es auch sein mag, nichts anderes kennst.«
Worauf der Bursche, welcher mich sicherlich für närrisch und hirnrissig hielt, davonlief, sich ab und zu erschreckt umblickend. Indes wir, Miroul und ich, belustigt den Weg, welchen er uns gewiesen, bis zur Notre-Dame-Brücke entlangritten.
Als ich Paris besser kennenlernte, wurde ich eines gar seltsamen Dinges in dieser großen, von einem wasserreichen Strom durchflossenen Stadt gewahr. Das rechte Flußufer ist fast durchgehend vom Louvre bis zum Cölestinerkloster befestigt. Das linke Ufer ist es nicht, ausgenommen das Stück zwischen dem Nesle-Turm und der Sankt-Michaels-Brücke, welche Befestigung erst vor einem Dutzend Jahren an der Stelle einer Weidenpflanzung aufgeführt ward. An allen anderen Stellen, auch in der Stadt selbst, findet sich der natürliche Uferhang aus Erde, welcher nur ganz allmählich, fast unmerklich vom Wasser aufsteigt, was bewirkt, daß die Fluten bei starkem Hochwasser ungehindert in die Stadt eindringen können,so daß man Anno 1571 den Maubert-Platz nur mit dem Boot überqueren konnte.
Die Befestigung am rechten Ufer, an welchem wir entlangritten, ist gewißlich kein Meisterwerk. Sie besteht zum einen Teil aus Mauerwerk und zum anderen aus Pfahlwerk, doch beides nachlässig und ohne Kunst ausgeführt. Die Notre-Dame-Brücke hingegen, über welche wir sodann ritten, erweckte in mir große Verwunderung, denn sie ist so schön und breit, daß drei Fahrzeuge nebeneinander darauf Platz haben, und wie die Sankt-Michaels-Brücke auf beiden Seiten mit Häusern von gleicher Höhe bestanden, meisterlich aus Ziegeln gemauert, alle in einer Flucht stehend und ein jedes mit einer Hausnummer von eins bis sechzig versehen, eine Neuheit, die man baldigst in der ganzen Stadt einführen sollte, in welcher es nämlich sehr
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