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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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deren wohlgerundetes Hinterteil mir ins Auge sticht. Rufe sie her, in Gottes Namen, mir versagt die Stimme!«
    »Milchfrau!« rief Miroul, indes er einen gehörigen Bissen hinterschlang, daß ihm der Hals ganz dick davon ward, »ver füge dich hierher, wenn ich bitten darf!«
    Worauf sich die blonde Milchfrau umwandte und mit ihren beiden Milchkannen auf uns zukam, welchselbe Kannen sie an einem über die Schultern gelegten Joch trug, eine Trageweise, die sie zu einem aufrechten Gang nötigte, was ihren wohlgeformten Brüsten sehr zum Vorteil gereichte, welche dadurch so trefflich hervorstanden, daß sie schier aus dem Busentuch herausragten, Trotz der Last ihres kleinen Schulterladens näherte sie sich mit leichtem, tänzelndem Schritt, indes sie mit angenehmer Stimme singend ihre Ware anpries:
    Ich mach die Runde jeden Morgen,
    um alle Ammen zu versorgen.
    Ich bringe Milch für jedes Kind,
    drum reicht die Töpfe her geschwind.
     
    Wobei sie die letzte Zeile einen Ton höher wiederholte und das »ö« mit einem kräftigen Tremolo erklingen ließ: … die Töpfe her geschwind.
    Ihr Vierzeiler war nicht gerade kunstvoll, gleichwohl war ich entzückt von dem Gesang wie von der Stimme und der Sängerin.
    »Jungfer«, sprach ich, »auch wenn ich nicht mehr in den Windeln liege und den Kinderjahren schon entwachsen bin, verkaufst du mir trotzdem von deiner Milch?«
    »Edler Herr, das geht nicht«, antwortete die Hübsche mit einem höchst verführerischen Blick. »Ich habe nur Kannen, keine Becher, denn ich verkaufe nur an den Haustüren, nicht an die Leute auf der Straße.«
    »Ach, Milchfrau!« sprach ich, »wärest du eine Nährmutter, ich wüßte wohl, wo ich trinken würde!«
    Worauf sie lachte, doch gleichzeitig verschämt tat, nicht ohne einen verstohlenen Blick auf ihre Brüste zu werfen, welcher erkennen ließ, wie stolz sie darauf war.
    »Hoho, Monsieur!« entgegnete sie augenzwinkernd. »Wie rasch Ihr zu Werke geht! In den Provinzen, aus denen Ihr kommt, scheint man recht couragiert zu sein! Hier jedoch ist mehr Sachtheit und Allmählichkeit am Platze!«
    »Das werde ich im Gedächtnis behalten«, entgegnete ich. »Doch der Durst quält mich, und wer würde es einem Verdurstenden verdenken, gleich aus der Flasche trinken zu wollen?«
    In diesem Augenblick ward sie von einer Hausfrau in der Nähe gerufen, worauf sie mit ihrem tänzelnden Schritt von dannen ging, mit anmutigem Wiegen in den runden Hüften die Last auf den Schultern im Gleichgewicht haltend und nicht ohne vorher mit einem Lächeln versprochen zu haben, daß sie wiederkäme. Mein Auge ruhte wohlgefällig auf ihrer anmutigen Gestalt, indes sie die Straße überquerte und dabei ihre helle, angenehme Stimme ertönen ließ: … die Töpfe her geschwind.
    »Moussu«, fragte Miroul, »was bedeutet ›couragiert‹?«
    »Nichts und niemanden fürchten, vermeine ich. Diese Pariser haben ihre eigene Sprache, so wie wir im Süden auch.«
    »Doch höchst angenehm anzuhören aus solchem Munde. Moussu, darf ich sie um ein Wiedersehen bitten?«
    »Gedulde dich noch ein Weilchen. Du hast noch nichts gesehen , Miroul.
Quod caelum stellas, tot habet tua Roma puellas.
1 «
    Worauf ich ihm diesen lateinischen Vers verdolmetschte, was ihn höchstlich erfreute, denn ihm gefielen der Sinn wie auch die Worte über alle Maßen gut.
    Indessen war unsere blonde Milchfrau zurückgekommen, einen Becher in der Hand, welchen sie von der Hausfrau erbeten, um uns zu Diensten zu sein, wofür ich artig dankte. Ich trank zwei Becher voll, und so auch Miroul, was zusammen vier ergab, wofür sie nur einen Heller verlangte. Ich gab ihr zwei, und sie sprach, indem sie sowohl mir als auch Miroul schöne Augen machte:
    »Ihr edlen Herren, wenn Euch der Sinn danach steht, so findet Ihr mich jeden Tag, den Gott werden läßt, zur gleichen Stunde in dieser Straße.«
    Mit diesen Worten schritt sie davon, mit heller Stimme singend: … die Töpfe her geschwind.
    Lieber Leser, ich sah dies anmutige Frauenzimmer vom Lande nie wieder, welches so munter über das kotige Pflaster der Hauptstadt schritt, ihre Milch für einige Heller zu verkaufen – welch geringer Lohn für einen so weiten Weg von ihrem Dorf in unser Babylon –, doch im Geiste sehe ich noch heute mit derselben Deutlichkeit und mit derselben Gemütsbewegung wie damals ihre klaren Augen vor mir, ihre blonden Locken, ihre anmutigen Brüste und insonderheit jenes liebliche Lächeln, welches ihre unbändige Freude, unter den

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