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Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition)

Titel: Die gute Stadt Paris: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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welche in der Tat, das Haar nur flüchtig geordnet, die Augen noch schläfrig, einen groben Kittel übergeworfen, hier und da die Haustüren öffneten. Ist es nicht wundersam, dachte ich, wie in diesem Paris die Dinge aufs allerbequemste eingerichtet sind, so daß man zum Einkauf nicht sein Haus verlassen muß, sondern die Kaufmannswaren sozusagen an sein Bett gebracht bekommt, als wären die Bürger und Mitwohner dieser großen Stadt lauter Fürsten, die mit Fleiß zu bedienen seien.
    Einen ganzen Monat lang habe ich zu Paris diese regen, zungenfertigen Straßenhändler singend und schreiend alles anpreisen hören: Wasser, Milch, Schwefelhölzer, Scheuersand, Kannenbürsten, Schuhwichse, Kreide zum Wollesäubern, Tonseife, Nadeln, Nestelschnur, Strohmatten, Flechtwaren, Reisigbesen,Kochkessel, Rattengift, Feuerstein und Flinten, Salz, Körbe, die neuesten Almanache (mit »allerlei treffenden Voraussagen«), »wunderschönen roten Wein«, »wunderhübsche Trinkgläser«, Stroh, Anis, hölzerne Hocker, auch Schemel genannt, Federmesser und gewißlich alles, was es auf der Welt an den wunderlichsten Sachen zu essen gibt, einschließlich – welch große Zutat für ein so kleines Gemüse – Walfischspeck zur Zubereitung von Erbsen, welchselben der Händler jedoch mit einer gewissen Vorsicht anpries:
    Zur Fastenzeit, hört, was ich sag,
    kaum Beßres gibt’s für den, der’s mag.
     
    Und an jenem Morgen, inmitten dieser gesungenen und gereimten Anpreisungen, welche von allen Seiten ertönten, hörte ich sogar einen Händler ausrufen, man möge ein Mägdlein, hübsch und fein, zu seinen Eltern zurückbringen:
    Es hat, kaum zählend fünfzehn Lenze,
    verirret sich bei Spiel und Tanze.
     
    »Oho!« sprach Miroul, indes wir im Schritt nebeneinander dahinritten, »brächtet Ihr die Jungfer etwa zurück, Moussu, so Ihr sie fändet?«
    Worüber ich zu lachen begann, doch das Lachen verging mir sogleich, denn vor uns tauchte ein Leichenzug auf, welcher sich mit einem Toten zum Friedhof der Unschuldigen Kindlein bewegte, angeführt von einer schwarzgekleideten Gestalt, welche eine kleine Glocke schwang und dazu sang:
    Das Vaterunser sprecht,
    hört ihr der Glocke Ton.
    Ein Mensch, fromm und gerecht,
    steht bald vor Gottes Thron.
     
    Worauf Miroul und ich uns bekreuzigten, glücklich darüber, daß wir an diesem schönen Morgen zu Paris uns gesund und munter auf den Sätteln unserer Rösser befanden. Ich sprach sotto voce ein Vaterunser für diesen frommen Menschen, obgleich selbiger in seiner Blindheit sein Leben als Papist verbracht.
    »Amen für diesen armen Götzendiener«, sprach Miroul halblaut, als der Leichenzug an uns vorbeigezogen, »und mögeGott ihm gnädig seine Irrungen vergeben. Moussu, mit Verlaub, ich habe Hunger, einen solchen erbärmlichen Hunger, daß ich selbst mit einem bloßen Brotkanten zufrieden wäre:
Jejunus raro stomachus vulgaria temnet.
1 «
    » Temnit
, Miroul.«
    » Temnit.
Dank sei Euch, Moussu, daß Ihr mich verbessert. Dies ist ein Ausspruch von gar großem Nutzen. In der Herberge kann ich ihn zweimal am Tage, Ihr wißt schon wem, zitieren.«
    Worüber ich lachte – denn ich war es zufrieden, einen solch schelmischen und vergnüglichen Diener zu haben –, gleichwohl aber auf die Rufe der Straßenhändler lauschte, ob man nicht etwas zu essen anpriese. Ein Wasserverkäufer, dem mein erwartungsvolles Gesicht auffiel, näherte sich uns, einen prallgefüllten Wassersack auf dem Rücken und blitzende Zinnbecher an seinem Gürtel tragend, mit seinem Spruch:
    Wer will Wasser? Kommt, ihr Leute!
    Kaufet ein das edle Naß,
    ihr braucht’s morgen so wie heute,
    jedem frommt es, glaubt mir das!
     
    »Edler Herr«, sprach der Wasserverkäufer, ein Mann von großer Leibesfülle, dessen Schmerbauch ebenso dick war wie sein Wassersack, »kauft Ihr mir von meinem Wasser ab? Ihr könnt es ohne Bedenken trinken, denn ich schöpfe es weder am Maubert-Platz noch an der Sankt-Michaels-Brücke.«
    »Und warum nicht dort?«
    »Weil das Wasser dort steht und folglich faulig und verdorben ist.«
    »Und wo schöpfst du es?«
    »Bei der Louvier-Insel, also stromaufwärts und fast schon außerhalb der Stadt.«
    War das die Wahrheit gesprochen? Ich vermeinte, nein. Aber auch wenn es die Wahrheit gewesen wäre, hätte ich abgelehnt. Ich gab ihm zur Antwort, daß ich nur Wein tränke, und warf ihm als Lohn für seine Freundlichkeit eine kleine Münze zu, für welche er mir kaum Dank sagte, so verdrossen war er darob,

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