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Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)

Titel: Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Grue
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verfügte über das instinktive Gespür von Provinzlern dafür, was ein Zugezogener auf jeden Fall
nicht
tun und sagen sollte. Vielleicht lag es daran, dass Dan und Marianne im Lager der Alten sofort akzeptiert waren, als sie zum ersten Mal Eltern wurden und in Dans Geburtsort zogen. Sie kauften eines der begehrten Stadthäuser aus dem 19 . Jahrhundert in der Gørtlergade, einer Seitengasse der Algade, der Hauptstraße von Christianssund. Fast zehn Jahre pendelte Dan zwischen dem Haus der Familie in der Gørtlergade und seiner Arbeit als Texter in einer Werbeagentur im Zentrum von Kopenhagen; ebenso wie Marianne, die als Ärztin lange Zeit alle möglichen Stellungen annehmen musste – in Aalborg, Esbjerg, sogar in Norwegen –, um sich als praktische Ärztin zu qualifizieren. Hätten sie nicht das enorme Glück gehabt, ein hervorragendes Au-pair-Mädchen zu finden, das Dans kinderliebe Mutter unterstützte, die zufällig in der Nähe wohnte, ihr Familienleben hätte niemals funktionieren können.
    Doch diese Phase war glücklicherweise vorbei. Vor sieben, acht Jahren war Dan Kreativdirektor der Werbeagentur Kurt & Ko geworden, die ihre Räume im Sundværket hatte; und Marianne hatte sich erst kürzlich in das Ärztehaus von Christianssund eingekauft, dem größten und modernsten Praxiskomplex der Stadt. Abgesehen von Marianne gab es dort drei weitere Allgemeinmediziner sowie einen Gynäkologen, einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt und eine Psychiaterin als Partner. Das Ärztehaus lag am Rathausmarkt, einem Platz, der allein wegen seiner Lage als Knotenpunkt zwischen Hafen und Fußgängerzone es verdiente, das Herz der Stadt genannt zu werden. Nicht dass irgendjemand außerhalb der örtlichen Händlergemeinschaft auf die Idee gekommen wäre, diesen Ausdruck ernsthaft zu verwenden, aber dennoch … Am Rathausmarkt lag – abgesehen natürlich vom Rathaus – auch das Polizeipräsidium sowie der älteste Gasthof von Christianssund, das Hotel Marina.
    Mit ein wenig Wissen über die Lebensumstände von Kernfamilien überrascht es nicht besonders, dass diese neue und glückliche Situation mit Arbeitsplätzen am Ort und der daraus gewonnenen zusätzlichen Freizeit sich zu einer Zeit ergab, als die Sommerdahlkinder ihre Eltern im Alltag nicht mehr brauchten. Rasmus, der Sohn, ist zu Beginn dieser Geschichte gerade einundzwanzig Jahre alt geworden: ein dünner, blonder Filmenthusiast mit dem schüttersten Spitzbart der Welt. Erst kürzlich hat er eine eigene Wohnung im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro bezogen. Und die siebzehnjährige Tochter Laura geht derzeit auf ein Internat irgendwo in Westseeland.
    Die erwachsenen Sommerdahls konnten es also zum ersten Mal seit vielen Jahren ein wenig ruhiger angehen lassen. Beide hatten sie die richtig gut bezahlten Jobs, für die sie ihr ganzes Leben geschuftet hatten; sie mussten kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass sie zu wenig Zeit für die Kinder hatten; das Haus war beinahe abbezahlt, ja sogar mit dem Hund kamen sie einfacher klar. Es handelte sich, das sei in Parenthese angemerkt, um einen gelben Labrador namens Luffe, der mit seinen elf Jahren inzwischen ein Alter erreicht hatte, in dem die Menge der Dummheiten doch erheblich begrenzt war – es sei denn, man zählte die stetig wachsende Häufigkeit von Darmwinden mit dazu.
    Dan und Marianne hätten also glücklich sein können. Das Problem jedoch war, sie waren es nicht. Vor allem Dan nicht. Zusammengekrümmt unter seiner Bettdecke, hatte er vor nicht allzu langer Zeit einen ganzen Monat mit einer heftigen stressbedingten Depression im Bett verbracht. Dank Mariannes Kollegin, der Psychiaterin aus dem Ärztehaus, war er auf einem guten Weg der Besserung. Dan war inzwischen wieder in der Lage, sich an einem Gespräch mit mehreren Teilnehmern gleichzeitig zu beteiligen, längere Spaziergänge mit Luffe zu unternehmen und sich nicht allzu anspruchsvolle Fernsehsendungen anzusehen. Er hatte auch wieder angefangen zu joggen, und es schien, als würde allein die Bewegung der Depression entgegenwirken.
    Alle gingen davon aus, dass Dan Sommerdahl in ein paar Wochen wieder an seinem italienischen Designerschreibtisch und in seinem Büro mit Blick über den Fjord von Christianssund und auf die alte Eisenbahnbrücke sitzen würde. Man rechnete fest damit, dass er seinen kometenhaften Aufstieg auf der Karriereleiter fortsetzen, seinen schwarzen Audi A 6 durch ein noch protzigeres Auto ersetzen und noch mehr Preise und Auszeichnungen

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