Die guten Frauen von Christianssund: Sommerdahls erster Fall (German Edition)
so gut wie sie selbst. Ich habe sie ja beobachtet. Abend für Abend. Nein, ich habe natürlich nicht in diesem lächerlichen Schrank gestanden und sie ausspioniert. Dazu ist meine Zeit dann doch zu kostbar. Aber eine oder drei kleine versteckte Kameras können Wunder vollbringen. Nanny Cam nennen sie so etwas in den USA . Unglaublich, was man alles im Netz kaufen kann. Ich habe ausgezeichnete Aufnahmen, stundenlang, man kann die Zeit für bestimmte Abläufe stoppen und in eine Tabelle übertragen. Ich bin ein guter Planer, denke ich und lächele vor mich hin. Ich
bin
gut. Es wird zweifellos alles klappen.
Lilliana hat ihr geblümtes Kopftuch wie eine Melkerin stramm um den Kopf gebunden. Eine einzelne Strähne hängt heraus und beschreibt einen sanften Bogen auf ihrer glatten, hellen Stirn. Hinten quillt ihr Haar unter dem bunten Dreieck des Kopftuchs hervor. Ihre Wangenknochen sind hoch und markant, sie lassen ihre Augen ein wenig schräg aussehen. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen, vermutlich kann sie nachts nicht schlafen, weil sie an so vieles denken muss. Schon in anderthalb Stunden werde ich dich von alldem befreien, Lilliana, und ich wünschte, ich könnte es schon ein wenig früher beenden, dann müsstest du nämlich nicht mehr putzen. Aber ich bedauere, du musst dich noch etwas gedulden. Sie verschwindet aus meinem Blickfeld, ich höre, wie sie den großen Industriestaubsauger über die Schwelle des Putzraums bugsiert. Kurz darauf beginnt sie zu saugen, und ich lehne mich zurück und warte. Jetzt, wo der Zeitpunkt des Mordens näher rückt, merke ich, wie meine Bewegungen präzise und kontrolliert werden, wie sich meine Sinne schärfen; ich höre jedes noch so kleine Geräusch, spüre, wie jeder einzelne Muskel bereit ist. Die Schweißperlen sind verschwunden, genau wie die Steifheit in den Gliedern, das eingeschlafene Bein. Es gibt nur noch einen gut funktionierenden Körper, der weiß, was ich von ihm erwarte. Als ob die Alarmbereitschaft den Körper veranlasst hätte, bestimmte Nervenbahnen zu schließen, damit er sich auf andere konzentrieren kann.
Wenn alles so abläuft wie immer, bleiben noch genau fünfundfünfzig Minuten. Ich strecke und biege die Finger, überprüfe noch einmal meine selbst gebastelte Mordwaffe. Es ist eine Garotte, gefertigt aus einem Stück kräftiger, mit Plastik überzogener Wäscheleine, circa einen halben Meter lang, mit einer Schlinge an beiden Enden. Die Länge der Schnur habe ich exakt berechnet: der vermutliche Umfang des Halses plus einige Zentimeter, um die Schnur mithilfe eines Metallkugelschreibers zusammenzudrehen. Nach zahlreichen Experimenten erscheint mir der Kugelschreiber für dieses Vorhaben am besten geeignet zu sein. Ich habe zu Hause an einem zusammengerollten Sofakissen geübt, bis das Ganze optimal funktionierte – und zur Sicherheit habe ich zwei Exemplare mitgenommen. Allein die Vorstellung, nur einen Kugelschreiber dabeizuhaben und der dann eventuell mittendrin bricht … Ich höre dem Brummen des Staubsaugers zu. Es entfernt und nähert sich, je nachdem, wo Lilliana sich in der Bürolandschaft gerade befindet. Benjamin kommt in die Küche, er kratzt Essensreste und zusammengeknüllte Servietten von den Tellern, die er auf den Schreibtischen eingesammelt hat, und verschwindet dann wieder.
Lilliana hat jetzt die Küche erreicht, ich beobachte, wie sie die Staubsaugerbürste systematisch über den Boden gleiten lässt. Hin und her, bis in die Ecken. Der Jogginganzug lässt sie unförmig erscheinen, er verbreitert ihre Taille, sie wirkt älter. Dann verschwindet sie auf dem Flur, der Staubsauger bleibt stumm, sie stellt ihn an seinen Platz im Putzraum. Ich höre Benjamin, aber ich sehe ihn nicht. Er wischt den Boden des Büros, das laut Arbeitsplan heute an der Reihe ist. Alle Böden werden turnusmäßig einmal in der Woche geputzt, wie ich herausgefunden habe. Abgesehen von der Küche und den Toiletten natürlich. Dort wird jeden Tag gewischt.
Noch achtundzwanzig Minuten. Lilliana kommt noch einmal in die Küche. Sie füllt einen der viereckigen blauen Eimer mit Seifenlauge und geht wieder hinaus. Jetzt wischt sie über die Schreibtische und Regale. Nicht alle Schreibtische und nicht alle Regale, aber hier und da, wo sie es gerade für notwendig hält. Es wird nicht unbedingt tipptopp geputzt, aber vermutlich so sorgfältig wie in den meisten anderen Büros auch. Benjamin wischt den Küchenboden mit dem großen Mikrofasermopp. Sjup-sjup-sjup. Es
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