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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Augen der Welt, einen kleinen wohlgeformten Busen und eine Haut so schimmernd und fein wie thailändische Seide. Mein wohlproportioniertes Gesicht passe perfekt zu meinem langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haar. Später sagte er, er habe sich auf den ersten Blick in mich verliebt. Erstens weil meine erotische Ausstrahlung, obgleich verborgen, so stark gewesen sei, zweitens aber auch weil er unbewußt eine Schicksalsgemeinschaft zwischen uns gespürt habe, denn er habe das Geheimnis gesehen, das ich in meinem zerrissenen Inneren mit mir herumtrug. Mit Worten konnte E. schon früh gut umgehen.
    Er trat auf mich zu. Ich fühlte, daß ich errötete, aber er nahm mir das Buch aus der Hand, als würden wir uns kennen und uns nur gemeinsam das Titelblatt anschauen.
    »Tage Skou-Hansen, Leidenschaften«, sagte er. Seine Stimme war rauh, fast knisternd. »Ein guter Roman, obwohl er ja auch das offizielle Bild wiedergibt. Aber realistischer als der ganze andere Quatsch, der über die Zeit geschrieben wurde. Den können Sie ruhig lesen. Er wird Sie nicht dümmer machen.«
    Seine Worte erstaunten mich. So sprach man einfach nicht von jener Zeit. Nicht so überheblich und respektlos gegenüber den Widerstandskämpfern.
    »Was wollen Sie damit sagen?« fragte ich dümmlich.
    »Daß es Zeit wird, daß man diese Jahre realistischer betrachtet. Sie brachten nicht Helden und Schurken hervor, sondern überwiegend Opfer.«
    Es waren die merkwürdigsten Worte, die ich je in meinem Leben gehört hatte. Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte oder ob ich überhaupt Lust hatte, diesem seltsamen jungen Mann zu antworten. Aber er kam mir zuvor.
    »Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee einladen?« fragte er und nahm meinen Arm. »Sie haben wahrscheinlich bald Ihre Prüfungen, danach können Sie dann anfangen, Romane zu lesen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Man sieht, daß Sie Abiturientin sind. Sie haben diesen gehetzten Blick, den man in dieser Zeit hat. Aber denken Sie immer daran, daß dies der letzte schöne Frühling ist, den Sie versäumen müssen. Sie sollen auch noch etwas ganz anderes lesen. Ich habe eine Gedichtsammlung für Sie von einem neuen dänischen Autor, der Klaus Rifbjerg heißt. Von dem werden Sie noch viel hören. Er ist ein Teil der Zukunft. Die Alten können ihre jämmerliche Bürgerlichkeit ruhig vergessen.«
    Während er sprach, führte er mich zum Ausgang.
    »Ich habe kein Geld, um mir Bücher zu kaufen«, sagte ich bloß. »Steht dieser Rifbjerg in der Bibliothek?«
    »Ich hab doch gesagt, ich kann Ihnen das Buch leihen. Oder schenken. Wenn Sie Lust haben?«
    »Sie können doch nicht einfach so Ihre Bücher weggeben.«
    »Natürlich kann ich das. Man darf nicht Sklave materieller Dinge sein. Das einzige, was zu bewahren wert ist, sind das Wissen und die Einsicht, die man im Kopf hat.«
    »Sonderbare Dinge, die Sie da sagen.«
    »Die Wahrheit ist manchmal sonderbar, aber deshalb wird sie doch nicht unwahr. Hören Sie nicht auf all den Unsinn, mit dem die Lehrer euch arme Schüler vollstopfen. Aber machen Sie bloß Ihr Abitur, denn danach fängt das Leben an. Und Papier braucht man dann zwar immer noch, aber vergessen Sie, was Sie gelernt haben.«
    Eigentlich waren es Banalitäten, aber es war auch so anders, daß ich lachen mußte, und das tat ich selten. So sprach sonst niemand.
    »Und was tun Sie, wenn Sie nicht gerade wunderliche Dinge von sich geben?« fragte ich, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, mit einem jungen Mann spazierenzugehen, und das in einem frühen, schönen Frühlingslicht, das dem schneidenden Wind, der die Hauptstraße herabfegte, den ersten Hauch von Wärme beimischte.
    »Ich studiere in Ärhus und schreibe an einem Roman.«
    Er sagte es, als wäre es völlig selbstverständlich. Als wäre es völlig selbstverständlich, daß ein Mensch, der neben mir ging, an einem Roman schrieb. Für mich, die ich Bücher liebte, waren Autoren göttergleich. Sich mit gewöhnlichen Menschen abzugeben fiele ihnen nicht im Traume ein. Und nun ging ich neben einem Mann, der so selbstverständlich sagte, er schreibe einen Roman, als hätte er gesagt, er gehe zum Bäcker.
    »Und wovon handelt der?«
    »Von der Wahrheit.«
    Wieder lachte ich. Ich weiß nicht, warum. Das war ja nicht lustig. Es war nur ungewöhnlich. Wir gingen in die Konditorei Brodersen. Er bestellte Kaffee und Hefeteilchen für uns. Während wir uns unterhielten, aß ich mein Stück Kuchen mit gutem Appetit. Daß dies neu

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