Die guten Schwestern
ihm Anwalt Kelstrup besorgt hatte. Und Teddy war einfach der kleine liebe Teddybär, den alle verwöhnten. Man konnte es mit Händen greifen, wie dankbar Mutter war, daß es das Leben trotz der dunklen Jahre, wie sie die Zeit mit Vater nannte, so gut mit ihr gemeint hatte.
Die Arglosen. Sie ahnten nicht, daß ich meine Dunkelheit verlassen hatte und ein heimliches Leben führte, von dem nur E. und ich wußten. Außerdem waren Mutter und der Oberlehrer nur am Materiellen interessiert. Neuerdings saßen sie nicht mehr andächtig am Radio oder lasen ein Buch, sondern hockten vor dem großen Klotz von Fernseher, den sie gekauft hatten. Starrten auf das Testbild und die schwarzweiße Uhr, deren Zeiger wanderten, während die Zuschauer auf das Programm warteten. Der neue dänische Hausaltar hielt seinen Einzug in den kleinen Heimen. Und sie schafften sich auch ein kleines Auto an. Einen grünen Volkswagen, der kaum gefahren war. Wie andere Mittelklassedänen machten Mutter und Stiefvater Sonntagsausflüge mit Kaffee und Campingstühlen. Fritz hatte keine Lust mitzukommen. Ihn interessierten nur Mädchen und sein frisiertes Moped. Auch ich fand Ausreden, aber Klein Teddy fand es toll, sonntags rauszufahren. Da saß die kleine Kernfamilie dann am Rand des Straßengrabens, damit die anderen ihr Auto bewunderten, und trank Kaffee und futterte das mitgebrachte Essen und machte es sich richtig gemütlich. Wie ich dieses Wort hasse! Später machten sie auch die erste Charterreise ihres Lebens mit einem Bus in den Harz und dann sogar mit dem Reiseunternehmen Spies bis ans Mittelmeer. Endlich waren die guten Zeiten gekommen, seufzten sie in ihrer dänischen Selbstzufriedenheit.
Mir paßte das ausgezeichnet. So konnte ich mein eigenes Leben und mein Leben mit E. führen. Eigentlich war es ein Wunder, daß ich ein so gutes Abitur schaffte. Ich hatte nur E. im Kopf. Ein Blick auf sein Foto, und ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Sogar bei der Lektüre meiner Lieblingsautoren fing ich plötzlich an, von meiner Welt mit ihm zu träumen und mich nach seiner Gesellschaft zu sehnen. Ich hatte den Eindruck, jeden Zoll seines Körpers zu kennen, und trotzdem hielt er immer wieder Überraschungen für mich bereit. Aber mein fast dreijähriger sorgfältiger und disziplinierter Fleiß auf dem Gymnasium hatte sich gelohnt. Ich beherrschte meinen Stoff. Außerdem verlangte E. daß ich mich auf die Prüfungen ordentlich vorbereitete. Die Möglichkeiten der Zukunft lägen bei denen, die eine gute akademische Ausbildung hatten. Wir würden die neuen Machthaber sein. Die kommende Aristokratie, aber zunehmend als Teil des Volkes, das wir anleiten und befreien würden. E. mußte sich selber auf seine Zwischenprüfung vorbereiten, so daß wir uns bis zu den Sommerferien nur an den Wochenenden sahen.
Er hatte sich ein Zimmer in Ärhus gemietet, wo ich ihn besuchte, wenn ich das Geld für die Eisenbahnkarte zusammenkratzen konnte. Er kam zu mir, wenn der Oberlehrer und Mutter einen Wochenendausflug machten. Fritz schickten wir in die Stadt. Nur eine Woche nach unserem ersten Rendezvous schliefen wir miteinander. Ich war nervös und hatte natürlich Angst, aber er war zärtlich und erfahren und hatte warme, sanfte Finger und einen geduldigen und anspornenden Mund, so daß es nur ein wenig weh tat. Und es dauerte nicht lange, bis ich gar nicht genug davon bekommen konnte. Bis es mir wirklich merkwürdig und falsch vorkam, daß Sex nicht schon früher zu meinem Leben gehört hatte. Offensichtlich hatte ein erotischer Geist in meinem Körper geschlummert. E. weckte ihn, und meine Sexualität zu entdecken und zu erforschen war wie ein unerwartetes, unbekanntes Geschenk, und keiner hatte mir bislang gesagt, daß dies ein Teil des Frauseins war. Es bedurfte zwar noch der Frauenbewegung, um der weiblichen Sexualität und ihrer langjährigen Unterdrückung Ausdruck zu verleihen, aber E. verstand, genoß und akzeptierte, daß die Libido der Frau ebenso groß und richtig ist wie die des Mannes. Heute ist das vielleicht eine Selbstverständlichkeit, aber 1958 nicht. Wir wußten es nicht, aber in unserer Freiheit und unserem Zusammensein waren wir Teil eines Bewußtwerdungsprozesses, der den Keim für den Aufruhr gegen die bestehende doppelmoralische Gesellschaft darstellte. Unbewußt gehörten wir zum zaghaften Beginn des Jugendprotests der sechziger und der großen linken Erweckungsbewegung der siebziger Jahre. Wir waren Pioniere. Auch in unseren Gesprächen und
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