Die guten Schwestern
Bürgertums von Anstand und Ordnung anpaßte, und dann ein anderes, heimliches Leben, das die anderen nicht kannten und an dem sie nie teilhaben würden. In meinem Bett dachte ich an ihn und diesen wundervollen Tag und preßte das Kopfkissen fest gegen meinen Schoß und war zum erstenmal, seit Vater mich verlassen hatte, beinahe glücklich.
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W orüber bleibt noch zu schreiben, Schwester? Vielleicht über die letzte entscheidende Entwicklung. In der zwei Menschen einander ehrlich ihr Leben offenlegen. Wieder ist es Nacht. Es ist kein Mond zu sehen heute abend, nur eine dunkle Kälte dringt von dem kleinen Fenster herein, als herrschte draußen in der Freiheit Winter und nicht ein trügerischer Frühling. Ich zähle die Tage bis zur nächsten Verhandlung. Sie müssen mich entlassen, aber in diesem System kann man nie sicher sein. Es wird alle Mittel einsetzen, um sich zu schützen, obwohl sie die Tortur natürlich mit rechtsstaatlichen Phrasen beschönigen werden. Ist es vielleicht nicht die Essenz der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, daß die Heuchelei der tragende Pfeiler, daß die Verstellung der Schlüssel zu ihrem Verständnis und daß Lebenslüge und Selbstbetrug ihr innerster Kern sind? Aber sie werden mich nicht unterkriegen. Ich werde stark sein, wie ich mein ganzes Leben stark gewesen bin. Wie ich stark sein mußte, um in einer gefühlskalten, materialistischen und brutalen Männergesellschaft zu überleben.
E. lehrte es mich in dem wunderbaren ersten Sommer, in dem wir uns kannten. Im Sommer 1958, der aus der Reihe tanzte und im Juni mit Frost aufwartete und dann nur noch Regen brachte. Aber daß der Sommer sonnenarm war, hatte für uns keine Bedeutung. Ich wurde achtzehn und Studentin. Die Volljährigkeit lag damals zwar bei 21 Jahren, aber ich wurde trotzdem frei. Mein Stiefvater und meine Mutter erkannten, daß ich mein eigenes Leben leben mußte. Es machte ihnen auch keine großen Sorgen. Ich war ja ein nettes und gutes Mädchen, das ein mehr als ordentliches Abitur hingelegt hatte und von allen Lehrern mit Lob überhäuft worden war. Sie hatten auch bemerkt, daß ich aufgeblüht und in den Stunden nicht mehr so schweigsam war. Außerdem war mein Verlobter aus Ärhus ja ein angenehmer und höflicher junger Mann. Wenn er es wollte, konnte er mit seinem Tweedsakko, der hellen Hose mit Bügelfalten und der Krawatte der Traum jeder Schwiegermutter sein. Er hatte sich auch ein Studium mit Zukunft ausgesucht. Er behandelte Irma gut und drückte sich gepflegt aus. Man konnte nicht klagen, wenn man sich anschaute, wen die Töchter heutzutage sonst so nach Hause brachten. Seine Eltern hatte man nicht getroffen. Aber das käme schon noch. Irma war noch etwas jung, aber es sah ganz so aus, als würden die beiden heiraten, wenn der junge Mann erst einmal etwas weiter mit seinem Studium wäre. Und soweit man wußte, war der Vater irgend etwas bei den Staatsbahnen auf Seeland. Er hatte also einen soliden und guten Hintergrund. Es waren ordentliche Leute. Was man wahrhaftig auch an seinen guten Manieren erkennen konnte. Das einzige, was man etwas merkwürdig fand, war Irmas Wunsch, in Kopenhagen und nicht in Ärhus zu studieren, aber die heutige Jugend war nun mal lebhaft und selbständig. Man hatte es ja gut im kleinen Dänemark. Die jungen Leute hatten die fünf bösen Jahre bestimmt schon vergessen. Für sie war das sichere Leben eine Selbstverständlichkeit. Sie dachten nicht an das, was man durchgemacht hatte. Junge Menschen würdigten nicht immer, was die Generation der Eltern hatte durchmachen müssen, aber Irma war doch ein gutes Mädchen, welches das kleine Wort »danke« kannte. Nun mußte sie sich auch eine Arbeit suchen, denn gratis war das Studium nicht, und das Geld reichte gerade mal so weit, daß man dann und wann ein klein wenig dazu beitragen konnte. Aber das wäre ja auch noch schöner. Natürlich war es weit ins königliche Kopenhagen, aber Arbeit gab es dort. Und Literatur, das stimmte schon, studierte man natürlich in Kopenhagen mit seiner langen und großen Tradition. Man hatte auch dabei geholfen, ein Zimmer zu finden. Nicht groß, aber sauber und bei einer anständigen Familie.
So redete meine Mutter den ganzen Sommer über, unendlich stolz auf ihre kluge und nun auch schöne Tochter, wie alle sagten. Auch Fritz hatte sich gut entwickelt, war groß und stark geworden und hatte seinen Gesellenbrief vor Augen und danach eine Stelle in einer großen Bäckerei in Odense, die
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