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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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schlanken Körper, dachte Toftlund und zwang sich, an alles mögliche zu denken, nur nicht an ihre Lippen, Augen, kleinen Ohren und ihren Körper unter dem dünnen Stoff, wo er den BH ahnte. Bastrup antwortete kurz und präzise.
    »Während des Krieges von 1940 bis 45 meldeten sich 12 000 junge Dänen zur Waffen-SS. 6000 von ihnen dienten an der Ostfront im Freikorps Dänenmark und später in diversen SS-Korps. Ungefähr 3000 fielen. Die Zahl ist etwas unsicher. Sie wurden mit dem Segen der Regierung losgeschickt. Offiziere behielten ihre Pensionsberechtigung und so weiter. Ihr erster Kommandant warb sie im Staatlichen Rundfunk an. Bei ihrer Verabschiedung in Kopenhagen gab es eine Parade mit Musik und allen Ehren. Als ihr Held von Schalburg an der Ostfront fiel, nahmen sowohl das Königshaus als auch die Regierung am Gedenkgottesdienst für ihn teil. Nach dem Krieg wurden die meisten Überlebenden zu zwei bis vier Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie sich hatten anwerben lassen. Keiner wurde wegen Kriegsverbrechen an der Ostfront verurteilt, obwohl die SS in Nürnberg kollektiv wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden war. Es sind zwar ehemalige Ostfrontsoldaten von der dänischen Polizei hingerichtet worden, aber wegen Verbrechen, die auf dänischem Boden begangen worden waren. Nach dem Krieg versuchte man die Tatsache zu vergessen, daß die meisten während der sogenannten fünf bösen Jahre gefallenen Dänen im Kampf für die Deutschen gestorben waren. Und nicht im Kampf gegen die Besatzungsmacht. Es gibt kaum historische Studien darüber. In der Schule haben wir jedenfalls nichts darüber gelernt.«
    »Nein, wir verstehen es gut, den Dreck unter den Teppich zu kehren«, sagte Vuldom. »Die heiklen Punkte in unserer Geschichte verdrängen wir einfach.«
    »Das sagen Tick, Trick und Track auch«, sagte Bastrup.
    »Bitte, wer?«
    Toftlund sah, daß Charlottes Ohrläppchen etwas rot wurden, aber ihre Stimme blieb sicher, als sie fortfuhr:
    »Die drei Forscher am Universitätszentrum Roskilde, mit denen ich über den Fall gesprochen habe. Sie haben furchtbar lange Namen wie alle jungen Leute heutzutage, so wie Oliver Bogård-Stumpff Ebbesen oder so was in dem Stil, der Einfachheit halber habe ich sie also Tick, Trick und Track getauft. Sie geben ein Buch zu diesem Thema raus. Ihr Forschungsprojekt. Sie sagen auch, daß es ein Netzwerk alter Frontkämpfer und ihrer Nachkommen gibt, das beharrlich daran arbeitet, daß die Freikorps-Freiwilligen rehabilitiert werden, weil sie mit Genehmigung der Regierung losgezogen sind, also beinah dazu aufgefordert wurden. Weil sie nichts anderes getan haben, als dem Geist der Zusammenarbeitspolitik zu folgen. Sagen sie.«
    Charlotte zuckte die Schultern, als wollte sie sagen, daß es sich dabei um Geschichtsschreibung und Hintergrundsaspekte handele, aber wohl kaum um eine Spur, die sie weiterbrachte. Im übrigen waren es Dinge, die sich lange vor ihrer Geburt abgespielt hatten, und in vielerlei Hinsicht verstand sie nicht, was daran so interessant sein sollte.
    Vuldom sah sie an.
    »Es gibt Unterschiede, Charlotte. Darin, in die andere Richtung zu schauen, darin, mit einer Schaufel in der Hand Befestigungsanlagen an der Westküste zu errichten, darin, Arbeit in Deutschland anzunehmen, weil man sonst seine Unterstützung verloren hätte, und darin, mit dem Gewehr in der Hand für die Nazis zu kämpfen. Es war ihre Entscheidung. Genauso wie sich, Gott sei Dank, andere Dänen, darunter mein Vater, entschieden haben, in den Widerstand zu gehen, so daß wir gerade noch mit heiler Haut davongekommen sind. Denn Papa Stalin meinte, wir seien Mitläufer. Deutschlands Freunde. Das Butterland. Das Musterprotektorat. Sie haben es selbst gewählt. Sei es, das Maul zu halten. Oder zusammenzuarbeiten. Oder sich zur Ostfront zu melden. Oder in den Widerstand zu gehen. Es war ihre eigene freiwillige, persönliche Wahl, die ihren Preis hatte. Das dürfen auch postmoderne Historiker in ihrer Revision der dänischen Geschichte nicht verdrehen.«
    Vuldoms Stimme war hart, als würde sie schimpfen. Alle vier schauten sie mit einer gewissen Verblüffung an und absorbierten jeder für sich die neue Information über den Privatmenschen Vuldom, daß ihr Vater im Widerstand gewesen war.
    Charlotte Bastrup räusperte sich, und nur das nervöse Spielen ihrer schmalen Finger mit einem Kugelschreiber verriet, daß sie urplötzlich den berüchtigten Vuldomschen Zorn hatte aufblitzen sehen,

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