Die guten Schwestern
Mobiltelefon befunden hatte. Das letzte Mosaiksteinchen hatte Bastrup über die nichtoffiziellen Kanäle in den USA und Großbritannien erhalten, die in den Medien unter dem Namen Echelon firmierten. Große Abhörstationen in Großbritannien und anderen Ländern Europas sowie auf Grönland und in den USA orteten den umfangreichen elektronischen Verkehr über Internet und E-Mail, der sich auf den drahtlosen Autobahnen des Cyberspace bewegte, hörten ihn ab und registrierten ihn. Trockene Zahlen, aufgereiht wie Soldaten in Reih und Glied, spiegelten das elektronische Leben eines modernen Menschen wider, hier waren sie aber enthüllt und bloßgelegt von den großen Lauschern und Augen, die jeden kleinsten Schritt des Menschen auf der globalen Landstraße verfolgen.
Hier hatten sie Glück gehabt. Bastrup war aufgefallen, daß auf Irmas Kontoauszügen in den Wochen bis zu ihrer Verhaftung regelmäßige, mit Kreditkarte bezahlte Fahrten über die Große-Belt-Brücke auftauchten. Da war ein Muster zu erkennen. Die Fahrten erfolgten oft nach einem Anruf aus dem Ausland – aus einer öffentlichen Telefonzelle auf Irmas Mobiltelefon. Nicht jedesmal, aber zu oft, als daß es Zufall sein konnte. Zwischen dem kurzen Anruf auf dem Handy und dem Abzug von ihrem Konto für die Brückenmaut hatte sie eine E-Mail erhalten. Sie war von einem Rechner in einer Bibliothek oder einem Internetcafé und von einem öffentlichen Server wie Hotmail oder Yahoo verschickt worden. Die Absenderadresse ist mit dem Ziel, den Absender zu verschleiern, stets nur einmal benutzt worden.
Über die langen Listen gebeugt, die auf Vuldoms weißem Konferenztisch lagen, hatte Bastrup erklärt, wie die Treffen arrangiert worden waren. Sie hatte vier Zahlengruppen umrandet, die in die Zeit vor Irmas Festnahme fielen.
Es waren folgende: 1302/54, 2402/47 und 0303/65/15. Der vierte Kreis umschloß eine Doppelzahl: 1203/30/13 und 1203/68/16. Die Zahlengruppen waren das einzige, was die E-Mails enthielten. Absender war jedesmal ein neuer, zufällig gewählter Name, abgeschickt von Hotmail. In diesem Universum konnten die Leute Identitäten und Namen erfinden, wenn sie mit anderen chatteten oder Nachrichten verschickten. Jedesmal konnte man sich selbst von neuem erfinden. Zu jemandem werden, der man schon immer sein wollte, oder die Seiten von sich nach außen kehren, die man gewöhnlich unterdrückte.
Charlotte vermutete in den Zahlen Kodes, die Treffen vereinbarten oder Termine, an denen Irma ein Dokument, einen Mikrofilm oder ein Päckchen, die vielleicht von E. stammten, abholen konnte. In der Branche hieß das ein dead-letter-drop oder ein toter Briefkasten. Die ersten Ziffern bedeuteten das Datum, erklärte sie. Also der 13. Februar. Die zweite Zahl 54 weise auf den ersten Autobahnrastplatz ab Ausfahrt 54 hin, in diesem Fall Kildebjerg auf Fünen. Am 13. Februar konnte Irma also auf dem Rastplatz Kildebjerg eine Nachricht ihres Führungsoffiziers oder von E. abholen. Es mußte genau abgesprochen gewesen sein, ob der südliche oder der nördliche Rastplatz gemeint war, da dies aus dem Kode nicht hervorging. Bastrup war darauf gekommen, weil es jedesmal mit der E-Mail übereinstimmte. Deshalb hatte sie sich auch für die übrigen Ziffern interessiert. Sie hatte auf die letzten Doppelzahlen gezeigt und erklärt, die Zahlen 13 und 16 seien Uhrzeiten. Diesen Schluß hatte sie gezogen, nachdem sie die E-Mails und die Kasseneinträge der Großen-Belt-Brücke mit den Fahrtzeiten von Kopenhagen oder Roskilde verglichen hatte. Die Summe stimmte jedesmal. Außerdem hatte Irma jedesmal einen kurzen Anruf erhalten oder selber von einem Rastplatz aus angerufen. Auf jeden Fall innerhalb eines zeitlichen Abstands, der auf einen solchen Zusammenhang hindeutete.
Am 12. März hatte Irma also jemanden um 13 Uhr auf dem der Ausfahrt 30 nächstgelegenen Rastplatz getroffen. Das mußte Karlslunde Vest südlich von Kopenhagen sein. Sie hatte die betreffende Person einsteigen lassen und war weitergefahren. Knapp eine Stunde später hatte sie mit Dankort die Brückenmaut in Halsskov bezahlt. Die Fahrtzeit ließ auf einen normalen Fahrstil schließen, bei dem die vorgeschriebene Geschwindigkeit eingehalten wurde, nächstgelegener Rastplatz hinter der Ausfahrt 68 war Ulstrup südlich von Hadersleben nahe der deutschen Grenze. Gegen 17 Uhr hatte Irma jedenfalls von dort aus telefoniert. Ein anscheinend banales Gespräch mit der Universität. Das stimmte wiederum mit einem anderen
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