Die guten Schwestern
das schon allein. Sie muß die Ermittlung hier bei uns weiter vorantreiben. Ich glaube auch, daß sie vor einem Computer besser aufgehoben ist als auf dem freien Feld. Albanien ist kein Kindergarten, soweit ich weiß.«
»Okay, Vuldom«, sagte er eher erleichtert.
Er rief zu Hause an. Lise klang erfreut.
»Hallo, mein Schatz«, sagte sie.
»Ich komm jetzt nach Hause. Hast du schon gegessen?«
»Nein, und ich habe Lust auf irgendwas Leckeres.«
»Wie wär’s, wenn ich Sushi mitbringe?«
»Du kannst Gedanken lesen, mein Liebster. Beeil dich.«
»In einer dreiviertel Stunde bin ich da.«
»Wir freuen uns auf dein Erscheinen.«
Auf der Heimfahrt war er in einer seltsamen Stimmung, voller Schuldgefühle, aber auch Erleichterung, daß Charlotte und er unterbrochen worden waren. Gleichzeitig erschrak er über die Leichtigkeit, mit der man verführt und verlockt werden konnte, und darüber, wie schwach der Mensch doch war. Er war sich sicher, daß sich das nicht wiederholen durfte. Hätte er diesen Entschluß auch umsetzen können, wenn Charlotte mit nach Albanien gekommen wäre? Er wußte nicht, wie er es Lise beibringen sollte, daß er morgen, spätestens übermorgen nach Albanien reisen mußte. Er konnte nicht erwarten, daß Lise seinen Versprechungen weiter Glauben schenken würde, aber sie konnte ebensowenig erwarten, daß er seiner Chefin absagte. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, aber die waren wie ein Haufen Legosteine, die ein Kind in einem heillosen Durcheinander auf den Boden geschüttet hatte und nun nicht verstehen konnte, warum die Bauvorlagen für die tollen Gebäudekonstruktionen auf der Schachtel keinen Sinn mehr ergaben.
Es war noch hell, als er vor dem kleinen roten Haus vorfuhr. Es war nicht einmal sonderlich kalt. Der Wind hatte sich gelegt, und der Himmel war hell, nur am Horizont waren noch Reste der schweren, grauen Wolken zu sehen. Freundlich grüßte er den Nachbarn und fühlte sich glücklich bei dem Gedanken, daß er ein Heim hatte, in dem eine Frau wartete, die er liebte, und gleichzeitig verfluchte er seine Heuchelei.
Lise saß auf dem Sofa und sah fern. Er stellte die Tüte mit dem Sushi auf den Tisch und gab ihr einen langen Kuß. Sie schmeckte gut nach dem Weißwein, der vor ihr stand.
»Ist das schön. Ich glaube, dem Kind tut ein Glas ganz gut, und der hier paßt perfekt zu Sushi«, sagte sie.
»Was guckst du dir an?«
»Angeblich eine Nachrichtensendung, aber im Augenblick geht es um die große Ideologie der neunziger Jahre: um das Fernsehen, den Altar des Narzißmus.«
»Du kennst so viele tolle Worte, Lise!«
Sie lachte. Sie wußte, daß er selbst mehr kannte, als er vorgab. Er schaute mit fern, während er ihr den Nacken streichelte. Ihre kleinen, schön geformten Hände ruhten auf dem großen, kugelrunden Bauch. Der Nachrichtencharakter der Sendung war nur schwer zu erkennen. Man sah Ausschnitte aus einer Preisverleihung. Ein junger Typ um die Zwanzig wurde zu Dänemarks Superboy erkoren. Er hatte einen dieser üblichen durchtrainierten, aber faden Fitnessbodys, die Toftlund so verachtete. Er stand mit anderen gutgebauten jungen Männern in Unterhosen auf einer Bühne. Er bekam eine Flasche Champagner überreicht und jubelte, als hätte er eine olympische Goldmedaille gewonnen. Die anderen Männer klatschten zurückhaltend und versuchten zu lächeln und waren ganz unglücklich darüber, daß er jetzt im Rampenlicht stand und nicht sie. Dann wurde ins Studio umgeschaltet, wo eine junge Moderatorin flirtend und verschmust hauchte:
»Und wie findest du das, dich so im Höschen zu zeigen?«
Der Junge lächelte und neigte kokett den Kopf zur Seite.
»Ach, das find ich eigentlich total okay, du«, sagte er.
»Und wieso?«
»Weil es echt wichtig ist, im Fernsehen zu sein. Find ich voll gut. Ist irgendwie das Geilste, was ich so kenne. Ich würd supergern im Fernsehen arbeiten.«
»Es ist also das Größte, zu Dänemarks attraktivstem Mann ernannt zu werden?« wandte sich die Moderatorin lächelnd an Dänemarks erotischsten Superboy.
Er grinste noch breiter und glücklicher im Schein der TV-Spots.
»Na ja, irgendwie ist man ja schon der Größte, wenn die Menschen einen attraktiv finden.«
Toftlund und Lise lachten laut auf.
»Hab ich’s nicht gesagt«, sagte Lise. »Ist das nicht ein wundervolles Land, in dem wir hier leben?«
Die Moderatorin sagte danke, als ob der attraktivste Däne allen seinen Landsleuten einen Riesengefallen erwiesen hätte, weil er zu
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