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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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sein Stück vom Kuchen haben, weil seine Zeit ebenfalls abgelaufen ist, weil er Angst hat, was in den Stasi- oder alten KGB-Archiven auftauchen könnte. Stimmt es nicht, Irma? Im Untergrund zu leben ist teuer, und es gibt nicht mehr viele Orte auf dieser Welt, die ehemalige Spione aufnehmen wollen.«
    Sie seufzte, zog die Nase hoch, als würde sie resignieren, und Toftlunds Hoffnungen stiegen, als sie den umgestürzten Stuhl aufstellte, sich wieder hinsetzte und eine Zigarette ansteckte. Charlotte Bastrup stand an der Wand. Sie starrte Irma wütend an. Ihr linkes Auge war rot und ein wenig geschwollen und feucht, als hätte sie geweint.
    »Du verstehst gar nichts«, sagte Irma leise. »Du siehst das Leben in Schwarz-Weiß. Für dich sind das Leben und das Dasein etwas, das rational erklärt werden kann. Du betrachtest das Leben linear, aber das ist es nicht. Es ist kompliziert und unerklärlich. Du vergißt die Träume, und du vergißt die Hoffnung. Du meinst, das Leben sei ein Kreuzworträtsel. Und die Menschen fänden schließlich die Auflösung und dann wäre es fertig. Du verstehst gar nichts.«
    »Wer ist E.?«
    Sie sah ihn an.
    »Das müßt ihr selber herausfinden, obwohl ihr das anscheinend nicht könnt.«
    »Irma. Du hast zugegeben, daß E. existiert. Daß Mira Majola deine Schwester ist. Wir wissen auch von deinen Brüdern, daß dein Vater diese Art Leben geführt hat. Daß du mit dem Veteranenverband ehemaliger SS-Leute in Verbindung stehst. Daß du Revolutionärin gewesen bist, weil du die bürgerliche Gesellschaft haßt. Wir wissen, daß du Edelweiß bist. Wir wissen, daß du Mira, die eine serbische Agentin ist, mit E. zusammengeführt hast. Was uns also nur noch fehlt, ist ein Name und daß du bestätigst, was wir wissen. Dann kommst du raus. Dann wirst du aus der Einzelhaft entlassen. Dann kannst du dein Leben wiederaufnehmen. Wo arbeitet E.? In der NATO? Der EU? Ist er dänischer Botschafter? Im Außenministerium angestellt?«
    »Wer sagt, daß er Däne ist?« sagte sie. Leider war der kühle, ironische Blick wieder in ihre Augen zurückgekehrt.
    »Das schreibst du selbst.«
    »Vielleicht schreibe ich einen Roman. Um mir die Zeit zu vertreiben.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Schreibt Simone de Beauvoir Romane oder Erinnerungen?«
    »Ich habe sie nie gelesen. Ich weiß nicht mal, wer das ist.«
    »Würde dir nicht schaden.«
    »Das ist nicht unser Thema.«
    »Doch, das ist genau unser Thema. Wir sprechen nämlich von Befreiung.«
    »Wer ist er?«
    Sie beugte sich über den Tisch.
    »Das, Per Toftlund, kriegst du nie aus mir raus. Meine Geheimnisse sind meine Geheimnisse. Und die nehme ich mit ins Grab. Und jetzt habe ich nichts mehr zu sagen. Ich möchte gerne in meine Zelle zurück.«
    Toftlund seufzte.
    »Okay«, sagte er. »Aber so billig kommst du uns nicht davon. Wir sehen uns noch.«
    »Das kannst du in einer Woche dem Richter erzählen.«
    Toftlund sah auf seine Uhr, nannte die genaue Zeit und schaltete das Aufnahmegerät aus. Charlotte trat ruhig an den Tisch und beugte sich über Irma. Sie umfaßte Irmas untere Gesichtspartie mit ihrer Hand. Irma rührte sich nicht, aber ihre schönen grünen Augen verrieten Angst.
    »Schlampe!« sagte Charlotte und drückte fester zu. »Wie hältst du dich eigentlich selber aus?«
    »Charlotte, verdammt«, sagte Toftlund.
    Charlotte ließ Irmas Gesicht los und richtete sich auf.
    »Schlampe«, sagte sie noch einmal mit der gleichen kalten Stimme.
    »Gleich und gleich erkennt sich gern«, sagte Irma. Bastrup, die gerade einen Schritt vom Tisch weg machte, verharrte wie versteinert.
    »Charlotte!« sagte Toftlund nur.
    »Alles in Ordnung mit mir«, sagte sie.
    Sie sagte es noch einmal, nachdem Irma weggeführt worden war und sie in Toftlunds Büro standen. Er hatte ein Stück Watte angefeuchtet, hielt ihr Gesicht gegen das Licht und versuchte, die kleinen Aschereste von ihrem Unterlid zu entfernen. Sie hatte es vorher selbst probiert, aber vergeblich. Mit der Linken hielt er vorsichtig ihr Gesicht und betupfte zunächst das rote, gereizte Auge, bevor er ganz behutsam versuchte, die drei kleinen, deutlich sichtbaren Ascheflöckchen aus dem unteren Auge zu praktizieren. Sie duftete ein bißchen nach Tabak, aber mehr noch nach einem schwachen Parfüm. Ihre Lippen waren feucht, und er konnte den Rand ihres BHs unter der dünnen, weißen Bluse sehen. Beim ersten Versuch gelang es ihm noch nicht, aber beim zweiten schaffte er es, die Asche mit der Spitze der

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