Die guten Schwestern
natürlich alles mit Karacho den Bach runterging. Banditen und Gangster überall. Jeder läuft da mit seiner Kalaschnikow rum, die er sich geklaut hat, als die ganze Scheiße 1996 zusammengebrochen ist. Albanien ist echt das letzte Drecksland, das man sich vorstellen kann. Total am Ende.«
»Bist du schon mal dagewesen?«
Teddy lachte und nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Hier war Rauchen verboten, aber das kümmerte die dunklen, langhaarigen Kerle wenig. Ein jüngerer Mann unterschied sich von den anderen. Mit seinen hellen, kurzgeschorenen Haaren ähnelte er einem Serben. Trotz des diskreten Anzugs, des Hemds mit geknöpftem Kragen und der kleingemusterten Krawatte sah man ihm sofort den Militär an, eine bedrohliche Elastizität des muskulösen Körpers. Er hatte kleine, eng stehende Augen, sein Gesicht war eckig. Von der Nase über die Wange verlief eine Narbe wie von einem Messer. Wie Teddy und Toftlund ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, während die andern drängelnd und schubsend zu den beiden Bussen hasteten, die vor der Halle hielten. Wo es Krieg gibt, findet man die Händler des Todes, die Geier der Not und die Handwerker der Spionage, dachte Toftlund, während er Teddys Wortstrom über sich ergehen ließ, der auch im Zubringer zu Sloweniens ganzem Stolz, dem großen Airbus der Slovenian Air, nicht versiegte.
»Ich war in den Siebzigern in Albanien, als junger Ferienreisender. Albanien war ja nicht gerade mein Ding. Aber ich habe an einer Reise des Dänisch-Albanischen Freundschaftsvereins teilgenommen. Es war ein surreales, absurdes Erlebnis. Die Delegation wurde von einer dänischen Rockgruppe angeführt. Die waren total scharf auf Albanien. Man durfte kein einziges kritisches Wort äußern, sonst kriegte man Stubenarrest. Woran ich mich am meisten erinnere, sind die Stille und die kleinen Bunker, die wie Pilze aussahen und überall verteilt waren, damit jeder Albaner von dort aus eventuelle Invasionstruppen mit seiner Flinte niederknallen konnte. Es war ein Scheißland, aber das sahen sie nicht. Es gab nichts zu fressen, nichts zu lesen, nur einen Haufen Lügen und dann Kindergärten und Fabriken ohne Ende, wo irgendwelche Roboter nachplapperten, was der große Führer von sich gab. Im Vergleich zu Albanien war Breschnews Moskau ein liberales Paradies. Das habe ich damals in einem Artikel geschrieben, als wir wieder zu Hause waren. Damit war dann Schluß mit den Einladungen, und seit der Scheiß zusammengebrochen ist, habe ich keine Lust mehr gehabt, noch mal runterzufahren.«
»Was hat gut ausgebildete Dänen dazu gebracht, so ein Regime zu unterstützen?«
»Frag mich nicht. Warum suchen die Leute nach Utopien? Keine Ahnung. Meine eigene Schwester war da ja auch nicht ganz astrein. Die wollen gerne darin bestätigt werden, daß es einen Sinn in dem Ganzen gibt. Sie möchten gerne an eine übergeordnete Idee glauben, der zu dienen sich lohnt. Wenn du keinen Gott hast, brauchst du eine Ersatzreligion.«
»Aber Hodscha! Albanien!«
»Sie haben es als ursprünglich, als rein, als antimaterialistisch angesehen. Du weißt schon, glückliche Bauern und singende Melkerinnen ganz allein auf der grausamen Welt, verraten von der Sowjetunion und China und bedroht von den USA und Italien. Ich weiß es auch nicht. Lenins nützliche Idioten gab’s in vielen Ausführungen, aber das ist doch alles Geschichte. Und keiner hat mehr Bock, noch was davon zu hören.«
Teddy stieg zuerst aus dem Zubringerbus. Er und Toftlund hatten robuste Goretex-Stiefel an. Sie hatten von dem Schlamm gehört, der die Flüchtlinge zu verschlingen drohte. Diese schliefen auf offenem Feld oder unter Plastikplanen auf den kleinen Pritschenwagen, die sie auf der Flucht vor dem serbischen Terror an ihre Trecker gehängt hatten. Im übrigen trug Teddy seine übliche »Uniform«: eine graue, etwas zerknitterte Hose, ein einfarbiges Hemd, einen dünnen Pulli sowie das unumgängliche Tweedsakko. Über seinem Arm lag ein Mantel in einer unbestimmbaren hellen Farbe. Toftlund hatte Jeans an, ein graues Hemd, einen blauen Pullover und eine braune, abgeschabte Lederjacke. Ihre übrigen Sachen hatten sie beide in einer Sporttasche verpackt. Toftlund war froh und vielleicht ein bißchen überrascht, daß auch Teddy nur wenig Gepäck dabeihatte. Manchmal vergaß er einfach, daß Teddy eigentlich mehr ans Reisen gewöhnt war als er selbst, besonders in dem Teil der Welt, der noch vor zehn Jahren durch den Eisernen Vorhang abgetrennt
Weitere Kostenlose Bücher