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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Gesicht. Sie strich es weg, und ihr Blick war eine Spur milder.
    »Geht es Mutter und Kind gut?« fragte sie.
    »Sehr gut.«
    »Du hast es nicht mehr geschafft, oder?«
    Er sah sie an, wunderte sich über die Frage und erinnerte sich plötzlich daran, wie er das Wöchnerinnenzimmer betreten hatte, vier Stunden zu spät, an einer Schwiegermutter vorbei, die nur ein unterkühltes »Guten Tag« von sich gegeben hatte. Da lag Lise dann mit feuchtem Haar und müden Augen, aber einem schönen Lächeln und einem Bauch unter der Decke, der fast verschwunden schien. Ein kleines weißes Bündel ruhte in ihrem Arm. Oben lugte ein kleines, faltiges Gesichtchen heraus, mit einem Büschel dunkler Haare und zusammengekniffenen Augen. Er hatte sich entschuldigen wollen, wußte aber nicht, wie er anfangen sollte, und dann hatte sie schlicht gesagt:
    »Wie schön, dich zu sehen, Per. Ich bin so froh, daß du lebend wieder nach Hause gekommen bist. Schau dir unsere Tochter an. Ich fürchte, die Arme ähnelt dir, daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen.«
    Und er spürte die Tränen und ließ sie einfach laufen und schämte sich nicht dafür, sondern empfand es im Grunde als Befreiung.
    Jette Vuldom räusperte sich.
    »Und der Vater?« sagte sie. »Wie geht’s dem?«
    Er sah sie an. Und sagte, was er dachte. Das war letzten Endes am leichtesten, auch Vuldom gegenüber.
    »Der ist verblüfft, wie sehr man so ein kleines Würmchen schon jetzt liebgewonnen hat.«
    »Ja.«
    »Die kleinen Zehen, die Fingerchen, der kleine Po und dann die großen Augen… Ich kann sogar schon Windeln wechseln.«
    »Nun werde mal nicht zu sentimental«, sagte Vuldom. »Aber ich habe dich doch richtig verstanden, daß du deinen Erziehungsurlaub nehmen willst?«
    »Ganz sicher.«
    »Habe ich mir gedacht. Und nimm ruhig noch einen Monat mehr. Zusätzlich zu deinem regulären Urlaub.«
    Toftlund sah sie an. Ihre Augen lächelten mehr als ihr Mund.
    »Wie lautet die Bedingung?« fragte er.
    Sie lachte und legte ihm entgegen ihrer Gewohnheit die Hand auf den Arm.
    »Daß du bei mir bleibst.«
    Er zögerte.
    »Wann willst du meine Antwort haben?«
    »Jetzt.«
    »Okay.«
    »Okay was?«
    »Okay. Ich bleibe im PND.«
    »Das freut mich. Du gehörst hierher.«
    Sie reichte ihm die Hand, und er drückte sie. Sie ging den Bürgersteig entlang, und er folgte ihr mit den Augen, eine große, schlanke Frau, die sich mit raschen, beinahe federnden Schritten entfernte. Ohne sich umzudrehen, sagte sie noch:
    »Grüß Mutter und Kind!«
    Er lächelte und hob die Hand, aber sie drehte nicht einmal mehr den Kopf. Toftlund ging zu seinem Auto. Mit seinem verletzten Arm war es eigentlich leichtsinnig zu fahren, aber mit ein bißchen Mühe und Schmerz ging es schon. Er konnte sich nicht erinnern, daß er sich seit seiner Kindheit so sehr auf etwas gefreut hatte wie darauf, nach Hause zu Lise und der Kleinen zu kommen, und eigentlich ging ihm erst in diesem Augenblick auf, daß sich sein Leben unwiderruflich verändert hatte, weil er jetzt nicht mehr allein war, sondern Teil einer Familie, und zu seiner großen Überraschung machte ihn das ein wenig ängstlich, aber auch glücklicher, als er es je für möglich gehalten hätte.

EPILOG
     
    E s war der 10. Juni. Toftlund machte seinen Waldlauf im Norden von Ganl0se. Vor sich her schob er den speziellen Babyjogger, den er sich geleistet hatte. Die Kleine schlief, und er suchte möglichst ebene Wege aus, bevor er an seiner Fünfkilometermarke umkehrte und zurücklief. Die Wunde am Arm war verheilt, und die Fäden waren längst gezogen, aber beim Laufen merkte er doch noch einen leichten Schmerz. Die Narbe würde er als unangenehmes Andenken behalten. Es war ein schöner Sommertag, obwohl die Sonne Mühe hatte durchzukommen. Der Wald war ganz grün, und das Licht von dem halb bedeckten Himmel war klar und schön, aber es waren die Düfte, die er nicht vergessen würde. Sie waren nach wie vor unbeschreiblich zart und neu und setzten sich aus den frisch erblühten Blumen und den bereits verwelkten Anemonen auf dem Waldboden zusammen. Als er den Waldrand erreichte, hielt er an, warf einen Blick auf Freya, die schlief wie ein Stein, und machte dann an der üblichen Eiche seine Dehnübungen. Es war früh am Morgen, und es gab keine anderen Laute als den Chor der Vogelstimmen, so daß er zusammenfuhr, als er eine unbekannte und doch bekannte Stimme auf englisch sagen hörte:
    »Man ist schon ganz erschöpft, wenn man dir nur zusieht,

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