Die guten Schwestern
Situation. Diese armen Menschen waren sozusagen die letzten Opfer des kalten Krieges. Vielleicht ist es ein wenig pathetisch, aber man darf sich wohl erlauben zu sagen, daß sie trotz allem nicht vergebens gestorben sind. Wir haben gesiegt.«
»Allerdings – und wie!« sagte Toftlund.
»Es reicht, Per!« sagte Vuldom mit eisiger Stimme, der Justizminister hingegen sagte in seinem ruhigen, vertrauenswürdigen Tonfall:
»Es ist nichts damit gewonnen, wenn man noch tiefer bohrt. Nicht hier und jetzt. Daher begraben wir den Fall jetzt in den Archiven, dann müssen die kommenden Generationen eben sehen, ob sie eine Lehre daraus ziehen können. Irma kriegt öffentlich was auf die Finger, damit man sieht, daß wir die Sünden der Vergangenheit weder vergessen noch vergeben haben. Aber wir sind der Meinung, daß es nicht im dänischen Interesse liegt, eine formelle Untersuchung in Gang zu setzen, ob ein Däne mit strenger Sicherheitsüberprüfung im Außenministerium oder beim Militärischen Nachrichtendienst oder im Verteidigungsstab oder im Parlament ein Verräter gewesen ist, und zwar ganz gleich, ob früher oder während des ersten Angriffskriegs, in dem Dänemark seit, äh…«
»… 1864«, sagte Vuldom.
»… 1864 teilgenommen hat. Das ist nicht im Interesse der Nation. Wir müssen jetzt nach vorne blicken«, fuhr der Minister fort.
»Gut«, sagte Vuldom. »Den serbischen Aspekt wollen Sie oder will der Oberstaatsanwalt in der Pressemitteilung also gar nicht erwähnen?«
»Der Fall ist verjährt, deshalb wird das Verfahren eingestellt. Edelweiß beging seine Verbrechen vor so langer Zeit, daß keine Klage mehr erhoben werden kann. Das ist die klare Schlußfolgerung. Alles andere würde als Spekulation betrachtet werden.«
»Verstanden.«
»Begraben Sie die Sache, Vuldom.«
»Als hätte es sie nie gegeben«, sagte Vuldom sarkastisch, was Toftlund trotz allem freute, als sie sich nach dänischer Sitte die Hand gaben und gepflegt auf Wiedersehen sagten.
Sie standen vor dem Ministerium auf der Straße. Es war fast schon Sommer geworden, der Himmel war hoch und blau, und es wehte eine sanfte Brise, die einen Duft von Salz mitbrachte.
»Das war’s«, sagte Vuldom. »Und was wird sie machen? Weißt du das?«
»Ein bißchen wegfahren, wenn ich Teddy richtig verstanden habe.«
»Wohin?«
»Es ist seit einigen Monaten geplant gewesen. Es geht mit ein paar alten Kameraden ihres Vaters nach Estland. Und mit ein paar Sympathisanten.«
»Versteht sich von selbst. Im neuen Estland sind sie natürlich Helden. Sie haben schließlich Russen getötet.«
»Und die andere Geschichte kennen ihre neuen estnischen Freunde ja nicht.«
»Nein. Die ist gestorben, Toftlund.«
»Die Welt ist merkwürdig.«
»Ist sie immer gewesen, aber das ist eine seltsame totalitäre Allianz, vereint in ihrer Verachtung für die schmutzige, unvollkommene Demokratie. Darin hast du recht. Weswegen wollen sie denn nach Estland?«
»Teddy sagt, sie wollen einen weiteren Gedenkstein für die gefallenen dänischen Ostfrontsoldaten errichten.«
»Wird Teddy mitfahren?«
»O-Ton Teddy: Ich werde an keinem Nostalgietrip teilnehmen und für eine Bande Schurken und Kriegsverbrecher einen dämlichen Gedenkstein setzen.«
»Prima, der Teddy.«
»Eben.«
»Wie geht’s ihm denn?«
»Schockiert, erschüttert, müde, fühlt sich schuldig. Genau wie ich.«
»Es wäre früher oder später sowieso passiert.«
»Trotzdem. Na, aber Teddy ist nun mal Teddy, also sagt er, er ist okay. Er durfte Mira mitnehmen. Er wird sie bestatten. Er will nach vorn schauen. So ist er eben. Er hat gesagt, und auch das ist ein Zitat: Teddy zieht in den fröhlichen Mai, um zu sehen, ob das natürliche Steigen der Säfte das andere Geschlecht nicht vielleicht dazu bewegen kann, sich in einen Akademischen Rat zu verknallen, der dramatische Abenteuer in der großen weiten Welt erlebt hat. Er ist überzeugt, daß sein Auftreten in den Medien dazu beitragen wird. Das Bild, Toftlund, hat er mir gesagt, ergibt sich von selbst: Tapferer Teddy kehrt aus der Schlacht zurück, und die Damen fallen vor Bewunderung in Ohnmacht.«
»Er ist schon ‘ne Marke.«
»Ach, er ist in Ordnung. Er hat auch gesagt, falls sich die in Ohnmacht fallenden Damen nicht materialisieren sollten, so hofft er, daß ich ein paar alleinstehende, gern auch geschiedene Frauen ohne kleine Kinder zu Freyas Taufe einladen werde.«
Die Brise erfaßte Vuldoms Haar und wehte es ihr für einen Moment ins
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