Die guten Schwestern
Hornhaut hatten. Daß nichts durch den Panzer drang, mit dem ich mich umgab. Daß ich ein zutiefst egoistischer Teufel war, der die Ironie als tödliche Waffe benutzte, um zu verbergen, daß ich schlicht ein Fiasko war – als Wissenschaftler und als Mensch.
So stand ich am Küchentisch und grübelte, als ihre Schritte im Flur verklangen und ich die Wohnungstür ins Schloß fallen hörte. Nora verließ das Puppenheim und den verschmähten Helmer. Zum Glück gibt es die Literatur. Auf sie können wir betagten Akademiker stets unser Haupt betten. Nichts geht über ein treffendes, verborgenes Zitat, um die Dämonen zu verjagen oder sie zumindest abstrakt faßbar zu machen. Andererseits war meine Lage sonnenklar. Teddy war in jeder Hinsicht ausgezählt.
Ich verdrängte das gefühlsmäßige Unwetter mit Hilfe praktischer Tätigkeiten am Telefon. Ein Termin beim Arzt, ein Termin beim Zahnarzt, der mich noch dazwischenschieben konnte, ein Anruf bei meinem Anwalt – darum hatte Janne mich gebeten, sie nahm den von Peter – und ein Anruf bei SAS. Mein Koffer hatte sich offenbar entschlossen, Globetrotter zu bleiben. Anscheinend war er jetzt auf dem Flug nach Timbuktu oder an einen anderen entlegenen Ort. Auf jeden Fall konnte mir die zuvorkommende Dame im Flughafen mitteilen, daß er gegenwärtig nicht auf dem Weg Richtung Dänemark sei. Gegenwärtig! Was für ein kluger Koffer. Ich schaute aus dem Fenster. Es schüttete, und da es gleichzeitig stürmte, traf der Regen die Fußgänger waagerecht. Die Autos glitschten durch die Pfützen und bombardierten die armen Seelen, die sich in das zeitige dänische Frühjahr hinausgewagt hatten, mit Kaskaden aus braunem Matsch. Schließlich rief ich meine Schwester an. Wenn es Probleme gab, hielt sich die Familie immer an sie. Sie war nicht zu Hause. Im Universitätszentrum Roskilde sagten sie mir, sie nehme an einem Symposium in Lund teil. Sie sei morgen wieder zurück. Ich hinterließ sowohl auf ihrem AB zu Hause als auch auf ihrem Handy eine Nachricht, dann ging ich zum Arzt und zum Zahnarzt. Vielleicht hätte ich auch einen Termin bei einem Psychologen machen sollen, aber drei verschiedene Ärzte an einem Tag, das hätte das Sozialsystem wahrscheinlich überfordert. Wie sehr ich mich auch anstrengte, die Vision zu verdrängen, sie tauchte immer wieder auf. Peter und Janne zusammen im Bett, nackt, schlank und leidenschaftlich. Am schlimmsten war Jannes Gesichtsausdruck. Sie sah verdammt glücklich aus. Dasselbe Glück, das sie nicht verhehlen konnte, als sie mir am Küchentisch gegenübersaß und sie mit Teddy zwar Mitleid empfand, aber in Wirklichkeit heilfroh war, daß der Geist aus der Flasche war und ihr vier Monate altes Geheimnis gelüftet war.
Der Arzt piekste mir in den Rücken, daß ich drauf und dran war, die Wände hochzugehen, und sagte, daß es sich wohl kaum um einen Bandscheibenvorfall handele, sondern um eine banale Verrenkung. Einen althergebrachten Hexenschuß. Das gehe von selber vorbei. Falls nicht, solle ich wiederkommen, um ein paar Röntgenaufnahmen machen zu lassen. Ich könne ein paar Schmerztabletten nehmen. Und ich solle Ruhe bewahren. Der Zahnarzt sagte, es sei das Zahnfleisch, und ich solle ein Weilchen die Zahnseide fleißiger benutzen, sonst müsse er mir ein Stück vom Zahnfleisch wegoperieren, aber dazu habe er heute keine Zeit. Er mußte mir hochhelfen. Denn als ich mich hingelegt hatte, kam ich nicht wieder hoch. Ich glaube, er fand mich etwas lächerlich. Ein wenig zimperlich, wie sich mein gleichaltriger, braungebrannter und Golf spielender Zahnarzt auszudrücken pflegte, wenn man um eine örtliche Betäubung bat.
Ich kämpfte mich durch den Regen, machte einige Besorgungen und begab mich wieder in die leere Wohnung, wo ich mir ein paar Brote schmierte und ein Ei in die Pfanne schlug. Janne hatte das Auto genommen. Sie hatte ja die Kinder. Das machte mir nichts aus. Vor Janne habe ich auch kein Auto gehabt. In der Stadt war es eher eine Last. Sie durfte es gern behalten, auch wenn ich es eigentlich bezahlt hatte. Die Wohnung roch nach Leere, aber daran mußte ich mich halt gewöhnen. Beim Anblick des Spielzeugs der Kinder und ihrer Bücher hier und da in einer Ecke bekam ich Sehnsucht nach den kleinen Bälgern und ihrem ewigen Durcheinander. Jannes Teil des Kleiderschranks war noch mit ihren Sachen gefüllt. Ich roch an ihrer Bluse, die so stark nach ihr duftete, daß ich die Schranktür gleich wieder zumachte und ins Wohnzimmer trottete.
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