Die guten Schwestern
Informácie standen keine Menschen. Außer meinem Flug nach Wien sah »Bratislava Airport« einen Flug nach Prag vor, einen nach Kiew, und bemerkenswerterweise sollte am späten Abend eine Maschine nach Tunis starten. Das war alles aus der Hauptstadt von Europas jüngster Nation. In einer Ecke entdeckte ich eine Frau, die in ihrer Illustrierten las. In einem winzigen Postschalter stierte ein älterer Mann mit leeren Augen ins Nichts. In dem winzigen Zeitungskiosk konnte ich Die Welt kaufen, aber ich wagte es nicht, mich hinzusetzen. Ich schlenderte durch die Halle, bis endlich ein englisch sprechender Mensch auftauchte und mich zusammen mit einer Handvoll Passagiere eincheckte, die sich kleckerweise eingefunden hatten. Ich freute mich wie ein Kind, nach Hause zu kommen.
Ich stieg in Wien um und landete planmäßig in Kopenhagen. Ich verbiß mir jegliche Scham und bat die Stewardeß, mir aus dem Sitz zu helfen. Aus eigener Kraft aufzustehen hatte in Wien dermaßen weh getan, daß ich hätte brüllen können, wenn es für einen Mann nicht verboten gewesen wäre. Ich hatte rasende Schmerzen im Rücken. Die dänische Polizei prüfte unsere Pässe bei der Ankunft und noch einmal, als uns das Vaterland in seine sicheren Arme nehmen wollte. Bei der Paßkontrolle bildete sich der übliche Auflauf armer Schlucker, die keine Chance hatten, so ohne weiteres das EU-Paradies zu betreten, während mir mein Rote-Beete-farbener Prachtpaß freien Zutritt gewährte. Nun mit drei schmerzenden Stellen. Dem Rücken, dem Backenzahn und dem Kopf. In dieser Reihenfolge.
Ich wartete eine Ewigkeit, aber mein Koffer kam nicht. Eine lächelnde Dame erklärte mir nach unzähligen Eingaben in einen Rechner, alles deute darauf hin, daß sich das Gepäckstück irgendwo über dem Atlantik auf dem Weg nach Los Angeles befinde. Offensichtlich war dem Flughafen Wien ein kleiner Irrtum unterlaufen. Warum spricht das Flughafenpersonal stets von einem kleinen Irrtum, wenn ein Koffer verschwindet? Für den Betroffenen ist es in der Regel nämlich eine ernste Angelegenheit. Auch für den Passagier in dem Flugzeug in die USA, der sich gerade arglos auf die kalifornische Sonne freute, die er in seinem neuen Strandanzug genießen wollte. Leider befand der sich in Kopenhagen. Falls der Koffer keine Drogen oder ähnliche Dinge enthielte, würde er mir zugeschickt werden. Ob ich so freundlich sei, hier zu unterschreiben? Mit Vergnügen, Hauptsache, ich kam endlich nach Hause.
Janne wartete nicht in der Ankunftshalle, wo die Glücklicheren mit Blumen und Küßchen empfangen wurden. Ich nahm meinen Rücken, meinen Zahn, meinen Kopf und meine leichte Tragetasche unter den Arm und ging hinaus, um eine Taxe zu nehmen. Der Frühling hatte Dänemark mittlerweile wieder verlassen, als hätte er sich über den hiesigen Breitengrad erschreckt. Dichter Schneeregen fiel, daß man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, und der Taxifahrer spielte eine Kassette mit Freddy Quinn. Ich ging nicht davon aus, daß es noch schlimmer werden konnte.
Das war eine Fehleinschätzung. Die Wohnung war dunkel und leer. Auf dem Boden lagen die Zeitungen und die Post der letzten Tage, und als ich Licht gemacht und in die Küche gegangen war, sah ich die empfindlichsten unserer Topfpflanzen wie einen kleineren Tropenwald in und neben der Spüle versammelt. Munter blinkte der Anrufbeantworter, als ich mir einen Whisky einschenkte und anfing, meiner griesgrämigen Stimme zu lauschen.
4
A ls ich den Schlüssel in der Tür hörte, wollte ich mich aus alter Gewohnheit im Bett aufrichten, aber das ging natürlich nicht. Ich lag flach auf dem Rücken, so fest, als hätte mich jemand an die Matratze genagelt. Der Gedanke daran, wie weh es täte, wenn ich nur die geringste Bewegung machte, war unerträglich. Irgendwie waren die Gedanken an die Schmerzen schlimmer als die Schmerzen selbst. Ich lag ganz ruhig und hörte Jannes wohlbekannte Schritte durch unseren langen Flur näher kommen. Die Kinder waren anscheinend schon abgeliefert. Vorsichtig drehte ich den Kopf und guckte auf den Digitalwecker. Es war halb neun. Ich hatte länger geschlafen als sonst. Voller Selbstmitleid war ich ins Bett gegangen und hatte eine Schlaftablette geschluckt. Die hatte gewirkt. Ich checkte meinen Gesundheitszustand, während Jannes Schritte immer vernehmlicher wurden. Der Rücken tat weh, der Zahn tat weh, wenigstens die Kopfschmerzen waren durch den Schlaf weggegangen. Dann stand Janne in der Schlafzimmertür.
Weitere Kostenlose Bücher