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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Tragikomisches. Zehn Jahre nach dem Fall der Mauer schlackerten einigen meiner Kollegen die Knie bei dem Gedanken daran, was dort über sie stehen könnte. Waren sie in ihren Äußerungen etwa zu freundlich gewesen? Hatten sie vielleicht das eine oder andere Geschenk zuviel erhalten? Oder irgend etwas gesagt, was in den vergilbten Papieren jetzt als nachrichtendienstlicher Goldfund erschien? Das Problem war ja, daß Führungsoffiziere und andere Agenten ein Interesse daran hatten, die Bedeutung dessen, was ihnen berichtet wurde, zu übertreiben, und daß es genaugenommen keine Berufungsinstanz gab. Du warst schuldig, solange du nicht das Gegenteil beweisen konntest. Nur gut, daß man selber sauber geblieben war. In der vermaledeiten alten Zeit wurde man ja nicht Kommunist, nur weil man in den Osten reiste.
    »In Dänemark habe ich Feinde genug«, sagte ich.
    »Und wer ist das?« fragte Bjerregaard und stellte endlich seine Tasse auf den Tisch.
    »Meine akademischen Kollegen und Konkurrenten. Alle, denen ich Forschungsgelder vor der Nase weggeschnappt habe, plus diejenigen, denen ich in diversen Gremien und Vorständen Geld verweigert habe, weil ich die Relevanz ihres Projekts nicht anerkannte. Wir lächeln uns zu und wünschen uns gegenseitig alles Gute, aber insgeheim wünschen wir ihnen Niedergang und Schande an den Hals und einen Gymnasiallehrerjob im hintersten Jütland. Aber wir bekämpfen uns mit Worten, nicht mit Messern. Was uns in den Rücken gestoßen wird, ist jedenfalls in der Regel symbolischer Art«, sagte ich.
    Toftlund lachte. Er hatte ein tiefes, angenehmes Lachen, sogar der steife Bjerregaard mußte lächeln, und ich selbst lachte auch ein bißchen, um die verkrampfte und im Grunde unangenehme Situation ein wenig zu entschärfen.
    »Na gut«, sagte Toftlund und erhob sich. »Vielleicht dürfen wir noch mal wiederkommen?«
    »Selbstverständlich«, sagte ich. »Aber sagt mir mal… wird der Rest der Gruppe da unten festgehalten? Oder können sie nach Hause zurück?«
    »Soweit ich weiß, kommen sie nach Hause. Sie sind routinemäßig verhört worden, kann ich mir vorstellen, aber anscheinend haben die Kollegen da unten dieselbe Meinung wie du: daß es Raubmord war. Wir werden mit der Tochter sprechen, wenn sie mit dem… Verstorbenen nach Hause kommt.«
    Es war ein unheimliches Wort. Damit reichten sie mir die Hand und gingen. Und ich lief in der Wohnung herum, drückte mir die Hände ins Kreuz wie eine Hochschwangere und dachte darüber nach, was für ein Glück ich gehabt hatte und wie schrecklich die ganze Geschichte im Grunde war. Dann schluckte ich einen Whisky und eine Schlaftablette, benutzte die Zahnseide nach Vorschrift des Zahnarztes, wobei ich mich um ein Haar bis zum Kieferknochen durchgesägt hätte, und verlosch wie eine Kerze. Die nächsten Tage samt Wochenende kümmerte ich mich nur um mich. Ich ging nicht aus. Erstens ging es mir am besten, wenn ich meinen Rücken ruhig hielt, zweitens regnete und stürmte es, daß es nur so gegen die Scheiben klatschte. Ich blätterte die Zeitungen durch, die sich angesammelt hatten, las ein neues Werk über Stalingrad, das mir ein britischer Kollege geschickt hatte, guckte mir Spielfilme im Fernsehen an, trank ein Glas Rotwein dazu und ging früh in die Falle. Ich vermißte Janne und die Gören mehr, als ich für möglich gehalten hatte, und hob ein paarmal den Hörer, um sie bei »dem anderen« anzurufen – so banal ist man ja –, ließ es dann aber doch sein und gab mich statt dessen meinem bemitleidenswerten Teddy-Martyrium hin. So was hab ich immer gut gekonnt. Am schlimmsten war die Kühlschranktür. Vor der habe ich einige Male gestanden, mit feuchten Augen. Dort hingen die kleinen Zettel für jeden Tag und die Kopien der Stundenpläne. Erinnerungen an Schwimmen und Handballtraining. Bilder von den Kindern. Ein, zwei Ansichtkarten. Eine Geburtstagseinladung. Befestigt mit kleinen Magneten. Herzen, Hündchen, eine Kuh und eine Katze und ein glänzender roter Apfel. Kleine Magneten, die den vertrauten Alltag auf einer Kühlschranktür festhielten. Teddy, von allen verlassen, konnte das Bild heißen.
    Am Montag morgen schien die späte Märzsonne wie durch ein Wunder, und Kopenhagen war wieder meine geliebte Großstadt mit ihren Türmen und Dächern, ihren Radfahrerinnen, Wauwaus und großen gelben Linienbussen, die beinahe lautlos davonschwankten. Überall legten die Leute den Kopf in den Nacken und blickten in den blauen Himmel, als

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