Die guten Schwestern
Die Wohnung gehörte mir. Im großen ganzen hatte ich aus meinen zwei anderen Scheidungen gelernt. Die erste kostete nicht die Welt, weil wir die Welt nicht hatten. Die zweite wurde teuer. Sie sackte die Hälfte meiner privaten Altersvorsorge ein, wie das Gesetz es befahl. Außerdem das Haus. Nun hatten wir Gütertrennung. Auch wenn ich verliebt gewesen bin, ein totaler Idiot bin ich nicht mehr gewesen.
Ich fand keine Ruhe. Warum zum Teufel rief Irma nicht zurück? Ich hatte das Bedürfnis, mit meiner klugen, reifen großen Schwester zu sprechen. So über das Leben im allgemeinen, aber auch über die mystische Frau in Preßburg. Zum Lesen fehlte mir die Konzentration. Nicht einmal die Zeitung schaffte ich. Erst gegen neun Uhr abends wurde ich ruhiger, und ich machte mir eine Kanne Kaffee, die ich ins Wohnzimmer mitnahm, um die Fernsehnachrichten zu sehen. Sie besänftigten einen mit den Bagatellen, die in Dänemark als Nachrichten gelten. Aber sie berichteten auch über den Bombenkrieg der NATO in Jugoslawien und brachten herzzerreißende Bilder von Kosovo-Albanern auf der Flucht in Europas ärmstes Land, Albanien. Wenn einem das Unglück anderer Menschen so vor den Kopf geknallt wird, verblassen die eigenen Probleme. Aber mir fiel auch ein Dylan-Song aus der Mitte der siebziger Jahre ein, der sich noch auf einer meiner alten ehrwürdigen LP’s befinden mußte: »Didn’t seem like much was happenin’, so I turned it off and went and grabbed another beer«. Aber ich ließ den Fernseher laufen, und mitten in der Wettervorhersage klingelte es an der Tür.
Draußen standen zwei Männer, der eine Ende Dreißig, der andere irgendwas in den Fünfzigern. Der jüngere zeigte mir seinen Dienstausweis und sagte:
»Polizei. Wir haben hier einen Theodor Nikolaj Pedersen unter dieser Adresse registriert.«
»Das ist korrekt.«
»Wissen Sie, wo er ist?«
»Er steht direkt vor Ihnen.«
Sie fixierten mich.
»Also Sie sind Theodor Nikolaj Pedersen?« fragte der Jüngere.
»Ist die Ordnungsmacht immer so schwerfällig?« sagte ich. »Das habe ich doch gerade gesagt. Meine Freunde nennen mich Teddy. Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Müßten Sie nicht in Budapest sein?«
»Woher wissen Sie das denn, verdammt noch mal?«
»Dürfen wir einen Augenblick hereinkommen?« fragte der Ältere.
»Warum denn? Ist was passiert?«
»Wir haben eine Meldung von den Kollegen in Budapest erhalten. Heute abend. Die Botschaft hatte schon tagsüber angerufen. Sie teilten mit, daß ein dänischer Staatsbürger namens Theodor Nikolaj Pedersen ermordet aufgefunden worden sei. Aber die ungarischen Kollegen sprechen von einem anderen Dänen. Niels Lassen. Dürfen wir reinkommen?«
»Selbstverständlich«, sagte ich tiefer erschüttert, als ich mir anmerken ließ. Dieser Tag gehörte wahrlich nicht zu den gewöhnlichsten in Teddys normalerweise so geregeltem akademischen Leben.
5
S ie setzten sich auf den Rand des Sofas. Ich blieb stehen. Ich bot ihnen Kaffee an, holte zwei Tassen, schenkte ein und sagte, sie sollten mich ruhig duzen und Teddy zu mir sagen. Das täten sowieso alle. Sie stellten sich vor. Der etwa Fünfzigjährige hieß einfach Bjerregaard. Er hatte eines dieser Sakkos an, in denen ich auch rumlaufe, dazu graue Hose, Hemd und Schlips. Gepflegt konservativ. Der Jüngere hieß Per Toftlund. Er war der sportliche Typ mit superkurzen Haaren und der Ausstrahlung eines Boxers oder Soldaten, mit dunkler Lederjacke, hellem Hemd und Schlips und verwaschener Jeans. Konnte auch beim Mobilen Einsatzkommando sein. Ich mußte ihn schon mal gesehen haben. Im Fernsehen, in Verbindung mit einer blutigen Geschichte, die mit der von der Fatwa bedrohten Autorin Sara Santanda zusammenhing. Ich hatte die Einzelheiten nicht präsent, aber ich glaube, Toftlund hatte damals von den Medien ziemliche Prügel einstecken müssen, weil er das Attentat gegen sie am Flackfort nicht hatte verhindern können. Und der Attentäter war wohl sogar entkommen, aber Toftlund war weiterhin bei der Polizei, das war ja offensichtlich, vielleicht war der Kelch doch an ihm vorübergegangen. Oder war er einfach vom PND zur Kripo oder zu Interpol versetzt worden?
»Willst du dich nicht setzen?« fragte Bjerregaard, als wäre er der Gastgeber.
»Nein danke«, sagte ich und griff mir theatralisch ans Kreuz. »Ich habe einen Hexenschuß.«
»Hast du es mal mit Streckübungen probiert?« fragte Toftlund. »Leg dich hin, ich werde dich behandeln.«
»Nein, vielen Dank«,
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