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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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verstünde die Welt ihre Genialität nicht. Ihr einziges Zugeständnis an eine sich verändernde Gesellschaft war ein Hauch von Tusche auf ihren Wimpern. Ihr Spezialgebiet hieß Frauenliteratur unter den Bedingungen der Unterdrückung durch die Männergesellschaft. In den Siebzigern bis hinein in die Achtziger hatte ihr das einen gewissen Zulauf garantiert, heute freilich war ihr Seminar, wie meines im übrigen auch, eher selten besucht. Das war es aber gar nicht, was sie so kränkte. Es waren zwei andere Umstände, wegen denen sie die Welt haßte. Der eine war, daß einem alten Marxisten die Redaktion einer großen Literaturgeschichte beim Verlag Gyldendal zugeschanzt worden war. Und das obwohl sie beide verknöcherte Betonmarxisten waren, die Ungerechtigkeit lag also wohl darin, daß der Konkurrent von so einer Bauernhochschule wie der Südjütischen Universität kam. Der zweite Umstand war, daß Signe davon geträumt hatte, Rezensentin bei Politiken zu werden, obwohl sie die Zeitung stets als kryptobürgerlich bezeichnet hatte, aber als das KP-Blatt Land og Folk gemeinsam mit der Berliner Mauer und meinem kleinen akademischen Fachgebiet das Zeitliche segnete, wollten sie sie nicht haben. Ihre Fähigkeit, die Literatur vom Gesichtspunkt »Kein Frauenkampf ohne Klassenkampf. Kein Klassenkampf ohne Frauenkampf« aus zu beurteilen, war nach dem Mauerfall nicht unbedingt der Standpunkt, den man bei Politiken händeringend suchte. Also landete sie bei Information, was an sich o.k. war, aber nicht so ganz das, was ihr vorschwebte, weil das kleine Intelligenzblatt nur so wenige Leser hatte. Sie war also ziemlich verbittert. Sie war mit Irma in einer Basisgruppe gewesen, so daß sie mich normalerweise an einer etwas längeren Leine hielt als andere Männer, aber eigentlich war sie der Überzeugung, ich sei ein Mösenjäger ohne Tiefgang und ohne Verständnis für die besonders unterdrückte Lage der Frau. Ihr aktueller Freund Jeppe, der unserem ganzen Gespräch nickend beiwohnte, war schlicht ein Schwachkopf. Wir taten so, als wären unser Unterricht und unsere Forschung wahnsinnig wichtig, unterließen aber tunlichst jede Fachsimpelei.
    Dafür sprachen wir über die neueste Nachricht, daß es der jugoslawischen Luftabwehr gelungen war, einen geheimen amerikanischen Stealthbomber abzuschießen. Sie waren wie die meisten linksgestrickten Akademiker Gegner des NATO-Bombenkriegs. Sie fanden ihn unmoralisch, vielleicht weil die NATO versuchte, eigene Verluste zu vermeiden. Vielleicht weil die Bombenkampagne den Flüchtlingsstrom nach Albanien verstärkt hatte. Vielleicht weil sie die NATO und die USA rein instinktiv noch aus alten Chile- und Vietnamkriegszeiten haßten. Sie zogen in Erwägung, was dänische Intellektuelle immer in Erwägung ziehen, wenn sie sich wirklich engagiert fühlen wollen: Unterschriften für eine Petition gegen Krieg und für Frieden zu sammeln, die Politiken ihrer Überzeugung nach abzudrucken hätte. Was der Frieden bringen sollte, dazu nahmen sie keine Stellung. Die meisten von uns waren mittlerweile zu gesetzt, um auf Demos zu gehen. Mit der Entschuldigung, ich hätte zu tun, konnte ich mich ihrer Aufforderung entziehen, eine derartige Erklärung zu unterschreiben. Sie warfen mir vor, einer unbequemen Konfrontation entgehen zu wollen. Dabei war ich eigentlich nur der Auffassung, daß irgendwann einmal genug ist und daß Milošević Prügel verdiente und wir im heutigen Europa keine ethnische Säuberung hinnehmen dürften. Petitionen halfen da nicht viel. Aber vielleicht ein paar Marschflugkörper. Sie sagte, ich sei naiv und der Krieg mache das Böse noch schlimmer. Und die Verhandlungsmöglichkeiten seien noch nicht ausgeschöpft.
    Ich ging kopfschüttelnd in mein Büro und brachte einige Stunden damit zu, meine E-Mails zu beantworten und die angekommene Post zu lesen. Fachliche Sachen. Anderer Mist. Und von der Abteilung Literatur noch eine Aufforderung, einen Protest gegen den NATO-Krieg zu unterschreiben. Ich schmiß sie in den Papierkorb. Ich wählte noch einmal Irmas Nummer. Ihre Sekretärin sagte, sie verstehe auch nicht, weshalb sie noch nicht gekommen sei, aber sie erwarteten sie heute zurück. Ihr Handy war abgeschaltet. Ich schickte ihr eine E-Mail, in der ich ihr von der Frau in Preßburg erzählte. Ich berichtete ihr die meisten Einzelheiten und bat dringlichst um eine Erklärung. Einen Moment lang dachte ich daran, Fritz anzurufen, aber ich habe keinen guten Draht zu ihm. Immer gab es

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