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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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und kein übermäßiges Bedürfnis danach, zu schnell in die leere Wohnung zurückzukehren, so daß ich einen Bogen am Gammel Strand entlang machte und am Kanal weiterschlenderte. Das Licht flimmerte auf der Wasseroberfläche, und in den Fenstern der Häuser spiegelte sich alles ineinander. Ich schlug den Weg nach 0sterbro ein und spürte allmählich eine angenehme Müdigkeit in den Beinen. Der Spaziergang hatte dem Rücken gutgetan.
    Die Wohnung war von den Strahlen der roten Abendsonne überschwemmt, als ich mehr als zufrieden mit mir selbst nach Hause kam. Das rote Lämpchen des AB blinkte eifrig. Ich legte den Mantel über einen Stuhl, steckte mir eine Zigarette an und hörte die Nachrichten ab. Die erste war ein Bescheid von der SAS. Leider müßten sie mir mitteilen, daß mein fliegender Koffer nun endgültig verschwunden sei. Ich möge sie doch bitte kontaktieren, damit man sich über eine eventuelle Entschädigung verständigen könne. Auch Janne hatte angerufen. Ob ich Donnerstag abend auf die Jungen aufpassen könne. Nein, das konnte ich bestimmt nicht, dachte ich. Was bildete die sich eigentlich ein? Sollte ich den Babysitter spielen, während sie mit ihrem Liebhaber ausging, oder was? Auch Toleranz hatte ihre Grenzen. Meine Laune fiel um einige Grade, aber ich zwang mich, erwachsen und gefaßt zu reagieren. Nach dem langen Gang durch die Straßen war ich wieder hungrig geworden. Ich machte mir Kaffee und ein paar Brote und las die beiden ausländischen Zeitungen, die ich auf dem Weg gekauft hatte. Dann war es Zeit für die Fernsehnachrichten. Man zeigte noch eine Reportage aus den Flüchtlingslagern in Albanien. Falls die NATO-Alliierten gehofft hatten, mit ihren Bombardements den Flüchtlingsstrom zu stoppen, hatten sie sich gewaltig getäuscht. Es waren erschütternde Bilder frierender, hungriger, nasser Menschen, die bei Kukkes über die Grenze kamen. Es waren diese Bilder, an die wir uns gewöhnt hatten, seit Jugoslawien seinen langsamen, selbstmörderischen Zusammenbruch vor bald zehn Jahren begonnen hatte. Aber ich konnte mich mit diesen versteinerten, unglücklichen Gesichtern immer noch nicht anfreunden. Sie kamen zu Fuß oder saßen auf ihren pathetischen kleinen Treckern und hatten ihre Habseligkeiten auf kleine Bollerwagen getürmt. Es war ein tiefer Abgrund zwischen den Flüchtlingen und den wohlgenährten, gesunden Piloten, von denen die Nachrichten auch berichteten. Meist ging es darum, daß die dänischen F-16-Jäger noch nicht in den Kampf gezogen waren. Aber daß sie tägliche Missionen zur Unterstützung anderer NATO-Flugzeuge flogen. Dann waren wir wieder in Albanien, wo ein Sonderberichterstatter aus einem Flüchtlingslager sendete, das in alten Fabrikgebäuden untergebracht war. Und wieder wurden diese erschütternden Bilder von Menschen gezeigt, die unter primitiven Plastikplanen im Schlamm lagen. Der Regen prasselte nieder, und man sah das Bild eines etwa zehnjährigen Mädchens, das bis zu den Knien im Schlamm steckte und einen Haufen durchnäßtes Brot trug. »Give me back the Berlin Wall« sang ich in Gedanken den Leonard-Cohen-Song, obwohl ich es eigentlich gar nicht ernst meinte. Das zehnjährige Mädchen, das dunkles, verfilztes Haar und ein kleines, katzenhaftes Gesicht mit großen, leeren Augen hatte, reichte die Brote einer Frau. Diese nahm sie mit einem Lächeln entgegen. Dann machte die Kamera eine Großaufnahme von ihrem Gesicht, und bevor der Reporter wieder ins Bild kam, hatte ich sie ohne Zweifel erkannt, obwohl die Haare unter ihrer roten Mütze ganz kurz geschnitten waren. Es war die Frau aus dem Hotelzimmer in Preßburg. Sie hatte einen gelben Regenmantel an. Rechts auf der Brust trug sie ein Abzeichen. Ich schaffte es nicht, das Emblem zu erkennen, bevor die Visage des satten, gesunden Dänen mir verklickerte, was ich von der Situation zu halten hatte. Aber sie war es, glasklar. Einen Augenblick lang war ich wie gelähmt. Irgendwie hatte ich angefangen, daran zu zweifeln, ob sie überhaupt existierte. Und wenn mein Koffer tatsächlich verschwunden war, dann waren auch die handfesten Beweise futsch, die sie mir in Preßburg überreicht hatte. Ich hockte vor dem Fernseher und ließ die übrigen Nachrichten an mir vorüberrauschen. Teddys Welt fällt auseinander, hätte das Bild heißen können. Teddys Alltag bekommt Risse, wäre ein anderer netter Titel für das Standbild, das ich gewissermaßen von außen sah. Da klingelte das Telefon, daß ich zusammenzuckte. Es

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