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Die guten Schwestern

Die guten Schwestern

Titel: Die guten Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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versuchten sie, das Licht zu trinken. Die Sonne schien durch mein Küchenfenster, als ich Kaffee kochte, und ich empfand es wie einen Sieg, daß es mir gelungen war, praktisch problemlos aus dem Bett zu kommen, ohne daß es wie an den vergangenen Tagen eine Dreistufenaufgabe gewesen war, als ich mich im Bett zunächst hinsetzen, dann die Beine über die Bettkante wuchten und schließlich auf die Füße kommen mußte. Ich hatte mich wie ein dreijähriges Kind gefühlt. Man ist glücklich und stolz, wenn man seine Socken allein anziehen kann. Es tat immer noch abartig weh, aber ich hatte meinem Rücken verziehen, der mir immerhin das Leben gerettet hatte. Als Janne anrief, überraschte ich sie und mich im übrigen auch damit, daß ich freundlich und weltoffen sein konnte und dabei behilflich war, einen Tag zu finden, an dem wir das weitere Prozedere regeln konnten. Wir waren ja zivilisierte Menschen, aber unser Gespräch erschütterte meine gute Laune dann doch ein wenig.
    Es gab nämlich ein paar wesentliche Dinge, die mein hoch entwickeltes Talent, Unannehmlichkeiten zu verdrängen, in den letzten Tagen heftig untergraben hatten. Das eine war Jannes Flucht. Vieles deutete darauf hin, daß ich wieder allein sein sollte. Wollte ich das überhaupt? Ich mußte mir eingestehen, daß es nicht mehr so einfach sein dürfte, ein Erstsemester aufzureißen wie in den guten alten Tagen. Wenn die neuen Jahrgänge mit ihren verwirrenden, eindrucksvollen Blicken erschienen, hatte ich kaum noch eine Chance. Womöglich würde sich das Alleinsein alles in allem schwieriger gestalten, als ich mir vorgestellt hatte. Das andere war natürlich das Auftauchen der sonderbaren Dame in Preßburg. Wer war sie? Und was hatte sie mit mir vorgehabt? Was, wenn sie mir doch nicht nur einen Bären aufgebunden hatte? Es ärgerte mich, daß Irma noch nicht zurückgerufen hatte. Ich hatte das Bedürfnis, mit meiner klugen Schwester zu sprechen, die in der Regel für alles eine plausible Erklärung bereithielt. Sie konnte zwar ein harter Hund sein, aber sie konnte auch trösten, wenn sie es für nötig befand. Und der arme Teddy hatte es nötig.
    Statt dessen fuhr ich zur Uni in Amager, wo ich mein kleines Büro habe. Die Kopenhagener Universität ist ein monströses Gebäude, das ein meschugger Architekt Anfang der Siebziger durchgeboxt hatte. Das muß man sich mal vorstellen, da schichtet man so einen DDR-Beton aufeinander, und zwar ausgerechnet für die Geisteswissenschaften, wo man von uns, die wir dort arbeiten und studieren, erwartet, daß wir uns große Gedanken über den Sinn des Lebens machen und den jungen Leuten das Wissen von der Sprache, der Geschichte und der Literatur vermitteln. Des Lebens ernste Dinge halt. Vielleicht waren die meisten Gedanken, die hier gedacht wurden, deshalb so kleinlich und verwirrt. Man lebte hinter diesen Mauern sein eigenes Leben und ließ sich von der Gesellschaft drumherum, die die Zeche bezahlte, nicht affizieren. Ich war nicht der einzige, der in der akademischen Welt an einem toten Punkt angelangt war. Nur gelegentliche Zeitungspolemik bewirkte, daß wir überhaupt bemerkt wurden. Jeder Versuch, den Dreck wieder abzureißen, war mißlungen, und ich war mittlerweile zu dem resignativen Schluß gekommen, daß das Machwerk mich und die nächste Generation überleben würde. Im Verhältnis zu der begrenzten Arbeit, die von uns verlangt wurde, waren Gehalt und Pension jedenfalls gut. In der Kantine überboten wir uns gegenseitig mit Geschichten darüber, wie furchtbar beschäftigt wir waren. Welch Hölle auf Erden es doch war, der Sklave der vielen Termine in unseren Kalendern zu sein. Wie anspruchsvoll die Forschung war. Worüber wir nicht laut sprachen, wir mittelalten Dozenten, war, daß die neue Generation im Sturmschritt heranmarschierte und daß sie nicht nur ehrgeizig, sondern auch fähig war. Gut, daß sie uns damals, ab Anfang der siebziger Jahre, haufenweise eine feste Anstellung gegeben hatten, ganz egal, wie unsere Diplomzeugnisse aussahen. Und daß jemand wegen Unfähigkeit oder Faulheit gefeuert werden könnte, so weit reichte unsere Phantasie nun doch nicht.
    Es waren nur ein paar Leute am Institut, als ich ankam. Ich unterhielt mich ein bißchen mit ihnen, aber nicht über das Thema, das sie brennend interessierte, nämlich daß Janne mich verlassen hatte.
    Signe hatte wie die meisten von uns die Fünfzig überschritten. Sie war eine Frau mit verhärmten Zügen, die sich konstant gebärdete, als

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